LIFE

Weihnachtseinkäufe ohne Internet-Shopping? Ein Versuch

Sven Krumrey

Kürzlich las ich wieder, in welch prekärer Situation sich der Einzelhandel vielerorts befinde. In den Artikeln wurde das Bild von leeren, grauen Innenstädten heraufbeschworen, in denen sich nur noch Frisöre, Restposten-Läden und Bäckereien halten könnten. Zeitgleich kollabieren Paketzusteller, die kaum noch der Flut von Lieferungen Herr werden können. Was könnte mich also daran hindern, dieses Jahr auf Amazon und Co zu verzichten und mit Geld, Energie und Motivation in die Stadt zu gehen und dort die Geschenke zu kaufen?

Viele Lichter - doch wie ist der Einkauf?

Der Weg in die Stadt zeigt sich gnädig, der Stau hält sich in Grenzen. Da ich auch sperrige Artikel kaufen muss, nehme ich das Auto und erlebe übervolle Parkhäuser. Nachdem die Innenstadt fast umrundet ist, finde ich doch ein Plätzchen, dazu in einem verdächtig günstigen Parkhaus! Etwas misstrauisch fahre ich hinein und erlebe das Parkhaus des Grauens. Anscheinend für Autos von der Größe eines alten VW Käfers gebaut, kommt selbst mein Mittelklasse-Japaner kaum ohne Schaden um die Kurven. Eine Beleuchtung wie aus frühen Alien-Filmen und abbröckelnder Putz runden das Gesamtbild ab. Die Parkplätze sind so schmal, dass kein SUV und keine Limousine hineinpassen, was zu abenteuerlichem Parken auf allen Ebenen führt. Also rein in eine schiefe Lücke, den beunruhigenden Geruch ignorieren und ab in die Stadt!

Und die folgenden Eindrücke sind wirklich nicht mit dem Sitzen vor dem heimischen Laptop zu vergleichen. Der Duft vom Weihnachtsmarkt, die Lichter der Dekorationen, selbst die vielen Besucher, die dick verpackt und oft schwer beladen durch die Gassen ziehen, bringen mich in echte Kaufstimmung. Die Stadt ist an jeder Ecke (meistens geschmackvoll) geschmückt. Habe ich all die Jahre am falschen Ort gekauft? Was habe ich durch die Online-Käufe alles verpasst? Der erste Buchkauf ist ein guter Start. Gefühlt die gleichen Preise wie im Internet, jede Menge Auswahl und Inspiration auf den Tischen und ein Personal, das mich in Ruhe lässt, bis ich einen fragenden Blick aufsetze. Dann erst kommen Tipps von einer anscheinend hochbelesenen Angestellten. Die Auswahl ist groß, es ist keine lange Schlange an der Kasse (in Zeiten von E-Books wohl der Normalfall), so kaufe ich gerne.

Der Versuch, eine einfache elektrische Eisenbahn für meinen kleinen Neffen zu kaufen, gerät zum Geduldsspiel. Ich hatte mich vorher im Internet grob orientiert und war bereit, maximal 25% mehr zu zahlen. Als kinderloser Informatiker kenne ich mich in dem Bereich nicht aus, weshalb ich ins erstbeste Geschäft laufe – ein großer Fehler. Mit eisiger Miene teilt man mir mit, ich sei wohl falsch, man verkaufe nur Holzspielzeuge, frei von Tropenhölzern, natürlich seien alle Rohstoffe aus fairem Handel. Etwas beschämt gehe ich aus dem höchst elitären Holzverkauf wieder hinaus und lande in einem kunterbunten Riesenladen, wo die Deko (irgendwo zwischen japanischem Zeichentrick und LSD-Überdosis) sämtliche Grenzen des Geschmacks sprengt, hier bin ich bestimmt richtig! Sie haben tatsächlich auch die Eisenbahn, aber glatte 50% teurer. Ich sehe ein, dass man für Laden, Personal, die verstörende Dekoration, usw. Geld braucht, aber die Hälfte mehr zahlen? So gehe ich weiter und werde irgendwann im einem Kaufhaus fündig, das seine Spielwarenabteilung gerade auflöst. Langsam bemerke ich das Laufen und Schleppen, ein heißer Kakao muntert mich auf.

Mit viel Deko zur Weihnachtsstimmung

Es geht weiter zum Hochprozentigen und auf Alkohol ist irgendwie immer Verlass! Ein vernünftiger Single Malt Whisky, der den Gaumen eines guten Freundes erfreuen soll, ist schnell und ohne spürbaren Aufpreis gekauft. In einem edel wirkenden Spirituosen-Laden nimmt mich gleich ein würdiger älterer Herr in Empfang, lauscht meinen Wünschen, berät mich vortrefflich und lässt mich zufrieden mit einer Flasche unter dem Arm von dannen ziehen. Er kennt jede Geschmacksnote, will mir auch keine 100€-Flasche verkaufen, sondern breitet entspannt sein Fachwissen aus. Das bietet kein Internet-Shop! So angelt man sich Stammkunden, dort werde ich bestimmt auch in Zukunft ein gutes Tröpfchen besorgen.

Ganz schlimm wird es bei der Elektronik, also dem Bereich, wo ich mich besser auskenne. Ältere Geräte, die oftmals zum damaligen Erscheinungspreis angeboten werden, Ramschartikel in den Gängen und Verkäufer, die anscheinend ihre Produkte nicht kennen, lassen mich schnell wieder verschwinden. So wird das nichts! Der Gang in der Parfümerie raubt mir fast die Sinne. Auch eine lächelnde junge Dame im Engelskostüm, die mich Willkommen heißt, kann meinen Geruchssinn nicht wiederherstellen. Im Trommelfeuer der konkurrierenden Duftstoffe und von einem gleißendem Licht geblendet, das wohl himmlische Stimmung suggerieren soll, kann ich gerade noch ein Parfüm bezahlen, bevor ich schnell flüchte. 15% über Internet-Preis verlangt man, also noch in meinem Budget liegend. Danach brauche ich erst mal eine Bratwurst zur Stärkung.

Und ewig lauert die Konkurrenz im Netz Und ewig lauert die Konkurrenz im Netz

Der finale Gang in den Fotoladen gerät dann unverhofft zum Höhepunkt des Besuchs. Ein freundlicher und höchst kompetenter Herr mit Hang zum Fachsimpeln und Plaudern zeigt mir mit sichtbarem Stolz seine Kollektion. Fast habe ich das Gefühl, mit einem Freund zu reden, der mir mit Ratschlägen und Anregungen zum richtigen Kauf verhelfen will. Er ist ungefähr so groß und rundlich wie seine Objektive, doch seine Begeisterung für die Produkte ist mitreißend. So entscheide ich mich für ein Exemplar, das grob 20% über dem Internetpreis ist, bin mir dafür aber sicher, das Richtige gekauft zu haben.

Als das Gedränge in den Gassen überhand nimmt, biege ich zum Parkhaus ab und ziehe ein erstes Fazit. Alles habe ich nicht bekommen. Ein Antiquariat war nicht fußläufig zu finden, Poster scheinen ebenfalls nicht verkaufsträchtig zu sein, die gewünschten CDs fernab des Massengeschmacks gab es nicht und Aquarienzubehör gibt es nur im Fachhandel. Das werde ich wohl online nachholen müssen. Dennoch werde ich in Zukunft häufiger in die Stadt gehen und den Einzelhandel unterstützen. Es macht mir nicht nur mehr Spaß, als vor dem Bildschirm zu sitzen und mir nur Grafiken von Weihnachtsmännern über den Angeboten anzuschauen. Ich habe zudem das Gefühl, Jobs zu sichern und zum Erhalt lebendiger Innenstädte beizutragen, anstatt Amazon und Co kampflos das Geld zu überlassen. Und ganz nebenbei: Wo kriege ich beim Online-Shopping eine Bratwurst?

Was mich interessieren würde: Wo kaufen Sie Ihre Geschenke? Treibt es Sie noch in die Geschäfte oder shoppen Sie online? Oder kombinieren Sie beides?

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