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Das Ende von Microsofts Browsern, wie Sie sie kennen

Sven Krumrey

Schon die letzte Woche hindurch waberten erste Gerüchte durch das Internet, in unseren weihnachtlich geschmückten Büros gab es angeregte Diskussionen. Konnte es wahr sein, dass Microsoft wirklich diesen Schritt geht? Endet nun eine Ära, die seit 1995 zwischen Erfolgsgeschichte, Niedergang und purer Verzweiflung pendelte? Kann man sich einen Mercedes mit einem BMW-Motor vorstellen? Letzten Freitag kam dann die offizielle Bestätigung: Microsoft wird zukünftig Chromium als Web-Engine in seinem Edge-Browser nutzen. Wie konnte es zu diesem Schritt kommen und was ändert sich nun?

Ein Browser in Nöten

Zwischen Microsoft-Browsern und ihren Nutzern war schon lange keine Liebesbeziehung mehr spürbar. An jeder Ecke versuchte Microsoft, seinen Windows-Nutzern Edge unterzujubeln, doch die wollten einfach nicht. Egal, wie oft MS seine Browser empfahl, die Nutzung anderer Software erschwerte oder gar den Default-Browser umstellte, die Kunden stellten sich quer. Generell nutzte man den IE oder Edge, um bessere Browser herunterzuladen, danach sah man die Software kaum noch. Zwar hatte man versucht, mit der Neuentwicklung Edge alles schneller, bequemer und kompatibler zu gestalten, die Marktanteile blieben weiter gering. Zieht man dann noch die vielen Firmen, Behörden und Bildungseinrichtungen ab, die ihren Nutzern die Microsoft-Browser aufzwingen, sinkt der Anteil der privaten (freiwilligen!) Nutzer noch weiter.

Auch die Ersteller von Internetseiten haben ihre Problemchen damit, zu eigenwillig interpretieren die Browser die Seiten. Was auf Chrome oder Firefox problemlos läuft, muss für Edge oder den Internet Explorer oftmals noch zusätzlich angepasst werden. Die MS-eigene EdgeHTML-Engine ist zwar schnell – aber halt anders als die Konkurrenz. Waren bei Ashampoo die Web-Programmierer mal zu übermütig, konnte man bisher einfach deren Bürotür öffnen und „Internet Explorer!“ hinein rufen, dann war wieder Ruhe. Zu sehr hatte sie dieser Browser all die Jahre genervt. Auch Microsoft merkt wohl langsam, dass das Prestige-Projekt Edge kein Erfolg wird und will das technische Herz des Browsers nun aus dem feindlichen Lager holen – von Google.

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Wobei das nicht ganz richtig ist, denn Chromium wird zwar unter straffer Federführung von Google erstellt, ist aber ein Open-Source-Projekt, an dem noch ca. 50 andere Firmen mitwirken. Nimmt also Microsoft einfach Chrome und streicht ihn anders an? Nicht ganz. Denn zwischen Chrome und Chromium besteht ein Unterschied. Chromium ist eigentlich kein Browser für den normalen Nutzer, sondern für Entwickler gedacht. In ihm stecken aber die wichtigsten Komponenten, wie z.B, die die Rendering-Engine Blink. Sie ist das Herzstück des Browsers, das Webseiten-Quelltexte interpretiert und für Sie darstellt. Auch der JavaScript-Interpreter V8 ist mit an Bord. Chromium bietet sozusagen die Grundlage, um einen fertigen Browser zu programmieren. Stellen Sie sich ein Auto vor, dessen Chassis, Motor, Getriebe und Co. schon feststehen, aber Karosserie, Innendesign und sämtliche Bedienelemente noch zu vollenden sind.

Diese Bausteine bietet also Chromium, was man daraus macht, liegt an den jeweiligen Entwicklern. Denn Chrome, Opera, Vivaldi, Brave und fast jeder Android-Browser basieren auf Chromium, obwohl sie optisch und in der Bedienung durchaus unterschiedlich sind. Wie also die neue Oberfläche von Microsoft's Browser aussehen wird, welche Erweiterungen kommen oder wie der Speicherverbrauch (Chromes größte Schwäche) ausfällt – es bleibt spannend. Im Frühjahr sollen die ersten Versionen kommen. Man wird sicher hart daran arbeiten, den neuen Edge einladender zu gestalten. Denn der alte Edge scheiterte bisher nicht nur an seiner Engine: Zu eckig und sparsam, geradezu spartanisch ist die Oberfläche, zu wenig sinnvolle Erweiterungen gibt es, zu wenig kann man den Browser individualisieren. Wie so häufig, wenn es um das Internet geht, hat man bei MS einfach ein paar Entwicklungen verschlafen.

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Microsoft peilt für das Erscheinen der fertigen Version Ende 2019 an. Auch für Windows 7, Windows 8 und macOS sollen Versionen auf den Markt kommen. Microsoft-Browser-Chef Joe Belfiore gibt sogar zu, dass man nun endlich kompatibler werden wolle. Ist denn damit alles gut? Nicht ganz. Denn obwohl die Nutzer dann einen Browser mit weniger Eigenarten und größerer Kompatibilität haben, der wahrscheinlich (wie Opera und andere auch) viele Erweiterungen von Chrome übernehmen kann, hat die Browserlandschaft dann eine neue Schwäche: Monokultur. In Zukunft werden die Chromium-Browser fast 90% Marktanteil haben.

Es bleiben an größeren Mitbewerbern dann nur noch Mozilla und Safari für die Apple-Jünger übrig. Dabei sind die Chromium-Engine Blink und Apple's WebKit-Engine wegen gemeinsamer Herkunft sogar noch verwandt. Und selbst Mozilla hat mit dem Android-Browser Focus/Klar einen Chromium-Browser auf den Markt gebracht. Es droht also eine Inzucht, die selten gut für die Entwicklung ist. Was ist, wenn z.B. Hacker Fehler in Chromium finden und damit sämtliche Browser angreifbar sind? Kein schöner Gedanke. Immerhin will Microsoft nicht nur nehmen, sondern auch aktiv mitarbeiten. Chromium soll massiv von den MS-Ressourcen profitieren, speziell Hardware-Funktionen wie Touch-Support, Barrierefreiheit und Hardwarebeschleunigung sollen optimiert werden. Optimisten freuen sich schon auf bessere, leistungsstärkere Browser, Skeptiker, wie Mozilla-CEO Chris Beard, ahnen Böses: Google als Alleinherrscher (genauer: alleiniger Impulsgeber) auf dem Browser-Markt.

Was mich interessieren würde: Können Sie sich vorstellen, den neuen Microsoft-Browser zu nutzen? Oder bleiben Sie lieber bei Ihrem Favoriten?

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