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Die schockierenden Geständnisse blutjunger Programmierer - Das Bekenntnis Nr. 4 wird Sie überraschen!

Sven Krumrey

Nein, die Geständnisse würden Sie nicht schockieren, so schlimm sind unsere Programmierer eigentlich nicht. Soweit ich weiß, aber ich lasse es Sie wissen, falls sich das ändert. Dennoch spielt die Überschrift mit unserer Neugier und leitet damit zu einem höchst ärgerlichen Phänomen über.

Programmierer, die schockieren. Oder auch nicht.

Wer sich im Internet bewegt und sich in sozialen Medien oder auf Nachrichten-Seiten tummelt, wird die Überschriften kennen: Dieser Mann wollte einfach nur zum Einkaufen. Du wirst nicht glauben, was dann passiert ist. Was dem guten Mann passiert ist, sieht man natürlich erst, wenn man den Link anklickt und danach glaubt man sehr wohl, was ihm widerfuhr - so unglaublich war es dann doch nicht. Was aber passiert ist - man ist einer wohl durchdachten Masche ins Netz gegangen, einem Millionengeschäft.

In dem Moment, wo sie diese Zeilen lesen, arbeiten ganze Redaktionen an einem Satz. Nicht an irgendeinem Satz, sondern an jenem Satz, der uns alle neugierig macht. Die Vorgehensweise ist dabei häufig gleich, man erschafft eine sog. Neugierlücke. Man kennt nur Teile der Geschichte. Ein Klassiker: Da ist ein Kind, dieses Kind steht an einer Straße - und nun kommt etwas, das uns zu Tränen rühren soll. Am besten noch garniert mit einem Bild, wo ein niedliches Mädchen groß in die Kamera schaut. Wir haben also Neugier, Niedlichkeit und das Versprechen auf Emotionen - klasse.

Geld reagiert auch das Internet

Diese Methode gibt es in vielen Variationen. Das nahende Unglück ist sehr effektiv. Nach nur einem Klick erfahren wir, weshalb unser Wirtschaftssystem in exakt 44 Tagen kollabiert, welche Umwelt-Katastrophe uns dahin rafft oder weshalb unser Herz bald nicht mehr schlagen mag. Niedlichkeit in allen Variationen lässt viele dahin schmelzen, das Katzenbaby beim Milchtreten, der gähnende Igel, der treue Hund - immer eine sichere Sache. Ekel ist erfolgreicher, als man denken mag, exotisch schwärende Krankheiten, dumpfer Fäkalhumor oder schlicht Menschen ohne jegliche Kinderstube sorgen für reichlich Interesse. Sex ist ebenso weit verbreitet, auch wenn man nicht wirklich überrascht ist, wie Iun der Blondine beim Wasserski-Fahren das Oberteil weg fliegt. Das klingt alles dumm für Sie? Ja, aber es ist effektiv!

Und dahinter steckt (Sie ahnen es) Geld und zwar richtig viel. In dem Bemühen, immer mehr Leser auf Seiten mit massiver Werbung zu locken, sind schlaue Köpfe früh auf die Idee gekommen, mit den Mitteln der Regenbogenpresse Klicks zu generieren. Und das ohne großen Aufwand. Man sammelt Filme, Bilder und Geschichten und erdenkt dann - diese besondere Schlagzeile. Man nennt diese Masche Clickbaiting (Klickköder) und sie durchzieht das Internet wie eine Krankheit. Als dies noch eine Ausnahme war, konnte man dies problemlos ignorieren, inzwischen mischen aber auch große Verlage und Fernsehsender kräftig mit. Da man bei den Inhalten kaum von Nachrichten sprechen kann, geschieht das meistens unter einem Deckmantel. Die ganz großen Nachrichtenseiten gründen oftmals Ableger mit jugendlichem Anstrich, auf die man mehr oder minder schüchtern verweist. Die sind dann ohne journalistischen Anstrich, optimiert für schnelles Teilen und reißerische Aufmachung. Das Überraschende: Die größten dieser Seiten erlangen Reichweiten, die weit über den eigentlichen News-Seiten liegen.

Es wurde uns Verstand gegeben - nutzen wir ihn! Es wurde uns Verstand gegeben - nutzen wir ihn!

Solange diese Seiten noch als klare Sensationsmache zu erkennen sind, ist es vielleicht nervig, aber kein wirkliches Problem. Das beginnt nämlich erst, wenn sich ernsthafter Journalismus mit dieser Art von Mumpitz mischt. Und auf der verzweifelten Jagd nach Klicks, Shares und Reichweite springen immer mehr „echte“ Nachrichtenseiten auf diesen Zug auf, ganz offen. Dabei bleibt auf der Strecke, was weitaus wichtiger als jeder Klick ist: Glaubwürdigkeit und Seriosität. Ich erinnere mich an kaum eine Zeit, in der Medien weniger vertraut wurde als heute. Viele wähnen die Medien als Sprachrohre von Politik und Wirtschaft - und dürften dabei manches Mal durchaus richtig liegen. Mit billiger Geldmache sägt man immer weiter an seinem Stuhl. Wenn ich aber auf einer Seite Unsinn bin zur Hirnschmelze lese, vertraue ich dann den restlichen Artikeln, die vielleicht gut recherchiert und voll sinnvoller Informationen sind?

Wie können echte Nachrichten daneben bestehen? Liest man lieber einen langen, kenntnisreichen Bericht über den Nahen Osten oder schaut man sich die wundersame Rettung der Dalmatiner-Welpen an? Wird man in Sendern und Verlagen vermehrt auf die Karte der sensationellen Nicht-Nachrichten setzen, um besser am Futtertrog der Werbe-Industrie zu stehen? Ein Hauch von drohender Verblödung liegt da in der Luft. Ein Hauch mit großer Reichweite.

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