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Musik-Streaming: Was kommt beim Künstler an?

Sven Krumrey

2014 war die Musikindustrie in einer nie gekannten Krise. Weltweit setzte sie 14 Milliarden Dollar um, glatte 11 Milliarden weniger als 1999. Während man sich früher maximal mit Schwarzpressungen und Aufnahmen vom Radio herumschlagen musste, brachte das immer leistungsfähigere Internet eine weit größere Gefahr. Wer wollte, konnte einfach „Top 100 Charts Download“ in eine Suchmaschine eingeben und stieß dann schnell auf den Musikpiraten seines Vertrauens oder brannte sich seine CDs selbst. Streaming-Dienste, wo man für grob 10 € monatlich maximale Auswahl hat, haben dies geändert, Musikpiraterie ist auf dem Rückzug. Doch erleben wir wirklich die Rettung der Musik, wie viele meinen?

Wenn man beim Musizieren in der Fußgängerzone mehr verdient

Zoë Keating war sauer. Als Cellistin hatte die US-Amerikanerin beachtliche Erfolge gefeiert und ihr musikalisches Schaffen auch auf diversen Streaming-Portalen platziert. Was für 2017 an Verdiensten bei Ihr hängen blieb, erboste sie so, dass sie ihre Bilanz für alle frei zugänglich in Netz stellte. Dabei lüftete sie ein Geheimnis, das die Portale vorher sehr diskret gehütet haben, die Zahlung pro Stream. Nach ca. vier Millionen Streams hatte sie 19.625 US-Dollar auf dem Konto, natürlich vor Steuer. Spotify spendierte pro Stream 0,38 Cent, Amazon Music 0,37 Cent, Amazon Prime ist mit vollen 6 Cent schon der spendabelste Streaming-Dienst. Wobei bei Amazon branchenintern gemunkelt wird, dass sie Musik-Streaming eh nur anbieten, um ihre Kundenprofile zu vervollständigen. YouTube bietet hingegen nur 0,07 Cent, hier muss schon die halbe Weltbevölkerung zuschauen, bevor man den neuen Sportwagen bestellen kann. Bemerkenswert: Trotz der bescheidenen 0,38 Cent verdiente sie mit Spotify mit Abstand am meisten, hier macht es die pure Masse an Hörern!

Für kleinere Bands sind Streaming-Dienste sogar Verlustgeschäfte, denn natürlich muss man für Einrichtung und Unterhalt eines Accounts etwas zahlen. Grund genug, dass viele Musikgruppen des Undergrounds dort nicht vertreten sind und ihr Heil eher bei kleineren Portalen wie Bandcamp oder dem Umsonst-Dienst YouTube suchen. Denn Bands ohne Plattenvertrag werden noch schlechter bezahlt, hier zahlt Spotify traurige 0,04 Cent. Und das auch nur, wenn man alle Rechte besitzt, was besonders in der heutigen Popmusik eine Seltenheit ist. Hier suchen sich oftmals findige Produzenten, Texter oder Komponisten die passenden Musiker, die dann halt fremde Lieder einsingen oder einspielen. Schreibt man aber die Songs und Texte nicht selbst, wie Schmusesänger James Blunt, können auch bei bekannteren Interpreten nur exakt 0,04499368 Pence pro Spotify-Stream übrig bleiben, wie er selbst frustriert postete. Da reichen selbst imposanteste Hörerzahlen im Millionenbereich nur für die Lokalrunde am Wochenende.

Für viele ersetzt das Handy die CD-Sammlung Für viele ersetzt das Handy die CD-Sammlung

Ist man absoluter Topstar, sieht die Sache anders aus. Schließlich zahlen die Abonnenten dafür, einfach alles hören zu können. Die Nutzer wollen ihre Stars hören. Spotify und Co stehen deshalb unter Druck, Verträge mit den Managements der Oberliga abzuschließen. Entsprechend hart sind die Verhandlungen, bis ein Star unterschreibt - zu weitaus besseren Konditionen als der Musiker von Nebenan, natürlich. Hat man z.B. die Beatles oder Taylor Swift unter Vertrag, wird das gleich für große Promos genutzt, die Abonnentenzahl wächst entsprechend. Das ist toll für die Fans, unterm Strich aber bleibt: Die Großen kriegen viel, die Kleinen immer weniger. Und wer Musik jenseits der Charts produziert, muss sich schlicht andere Einkommensquellen suchen, hier ist nicht viel zu holen. Falls Sie bemerkt haben sollten, dass Bands nun viel häufiger auf Tour gehen oder die Fanartikel-Shops bestimmter Musikgruppen inzwischen ein Ladenlokal füllen könnten – dies sind die besagten Einnahmequellen. CD- oder Vinylverkäufe, auch Downloads, wo Musiker generell einen höheren Profit pro verkaufter Einheit bekommen, werden von der Masse inzwischen eher selten getätigt. Hier können nur noch Topstars wirkliches Geld machen, der Rest schaut in die Röhre.

Sind also die Streaming-Portale die Bösen? Kaum, denn die schwimmen nicht gerade in Geld. Selbst Branchenriese Spotify hat es nicht geschafft, seit seinem Bestehen auch nur ein Quartal profitabel zu arbeiten. Obwohl man konstant massiv Abonnenten hinzugewinnt, macht man immer noch dreistellige Millionen-Verluste. Der Grund: Man behält von seinen Werbe- und Abo-Einnahmen nur 21% (ca. 2,10€ bei einem Abo-Preis von 9,99€), der Rest geht an Plattenfirmen und Künstler. Klingt fair? Ja, aber nur für die Plattenfirmen! Die streichen nämlich satte 73 Prozent ein (7,29€), so dass den Künstlern nur 6 Prozent (0,60€) bleiben. Das erinnert schon schwer an die Sechziger, als Stars selbst nach Millionenverkäufen mit ein paar Dollar abgespeist wurden! Da die Einnahmen durch Streaming inzwischen (in vielen Ländern) die klassischen CD-Verkäufe abgehängt haben, kann man zwar die Musikindustrie auf dem Weg der Besserung wähnen, die Künstler bekommen vom Kuchen aber nur die Krümel.

Das Live-Konzert als Einnahmequelle Das Live-Konzert als Einnahmequelle

Es ist also längst nicht alles Gold, was glänzt. Auch wenn riesige Summen für Musik-Streaming im Umlauf sind, bei den Machern, den Kreativen und Begabten kommt kaum etwas an. Da ich nicht davon ausgehe, dass die Plattenfirmen plötzlich sozialer werden, müssten schon die Streaming-Dienste wesentlich teurer werden, um gerecht bezahlen zu können. Momentan wird nicht die Musik gerettet, sondern die Plattenfirmen. Aber wer will schon z.B. 50 € im Monat für Streaming ausgeben? So werden zukünftig viele Musiker nur eine Motivation haben, ihre Songs zu veröffentlichen – pure Leidenschaft.

Was mich interessieren würde: Empfinden Sie diese Entlohnung als gerecht? Nutzen Sie Streaming-Dienste oder bevorzugen Sie das „klassische Musikhören“ über CD und LP?

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