Schafft Chrome die Werbeblocker ab?
An wenigen Programmen im Internet scheiden sich die Geister so sehr wie an Werbeblockern, auch Ad-Blocker genannt. Während der gemeine Nutzer sich freut, endlich weitgehend ungestört Inhalte genießen zu können, sehen Werbetreibende schon seit Jahren den Untergang des kommerziellen Internets darin. Nun aber haben die Macher von Chromium, dem Unterbau von Chrome, Opera, Vivaldi und bald auch Edge, einschneidende Änderungen angekündigt. Und wenn es nach Mutti Google / Alphabet geht, werden Werbeblocker bald echte Schwierigkeiten bekommen.
Chromium hat nämlich sein neues Manifest (also seine Vorgaben für kommende Browser) veröffentlicht und dabei gehörig Wert auf Sicherheit gelegt. Neben einer besseren Performance und Datenschutz (hier kichert der Chrome-Kenner unkontrolliert) steht Sicherheit im Vordergrund. Man will die Sicherheit der Browser verbessern und blickt dabei auch kritisch auf die Schnittstellen des Browsers. Worum geht es hier technisch geht, kann man recht leicht beantworten. Damit eine Erweiterung Teil eines Browsers wie Chrome werden kann, gibt es Schnittstellen, an die Software „andocken“ kann. Über diese Schnittstelle läuft der Datenaustausch, ohne Sie funktioniert auch kein Werbeblocker.
Je mehr Rechte ein Programm über die Schnittstelle erhält, desto größer ist aber auch das Risiko eines Missbrauchs. Und so nutzten 42 % aller böswilligen Chrome-Erweiterungen 2018 genau diese ominöse Schnittstelle, die übrigens Web Reques I genannt wird. Mit dieser Schnittstelle kann Software jegliche Netzwerkanfragen abfangen, verzögern oder stoppen. Auch wenn man über den Browser Fotos, Kontodaten oder Nachrichten verschickt, ist eine Weiterleitung an Dritte durchaus möglich. Aber warum brauchen kleine Erweiterungen wie ein Ad-Blocker überhaupt so viele Rechte? Leicht vereinfacht erklärt, stoppt ein Werbeblocker den Download einer Seite ganz kurz, gleicht die Inhalte mit einer riesigen Liste von Werbebetreibenden ab und blockt dann jene Treffer, die das Programm auf der Liste findet. Daher ist nicht nur die mangelnde Sicherheit, sondern auch die Geschwindigkeit Google ein Dorn im Auge. Mit Werbeblockern reagieren Browser etwas langsamer – was Nutzer natürlich Chrome anlasten, nicht den installierten Erweiterungen.
Dabei will Chrome jetzt gerade mit einer großen Sicherheits-Aktion positiv auf sich aufmerksam machen. Die Zahl der Entwickler, die Malware bekämpfen, wurde unlängst um 300% erhöht, die böswilligen Erweiterungen wurden um 89% gesenkt und 1800 verkappte Malware-Programme monatlich gelangen niemals in den Store, weil sie enttarnt werden. Dass man Erweiterungen überhaupt nur aus dem Chrome Web Store installieren kann, ist ebenso Teil der neuen Sicherheits-Strategie. Das alles liest sich toll – auf ihre geliebten Werbeblocker verzichten, wollen aber nur die wenigsten! Denn was Chrome selbst in diesem Bereich bietet, ist allzu mager. Der eingebaute Werbefilter in Chrome blockt gefühlt nichts, Googles Bemühungen in der Coalition for Better Ads(Koalition für bessere Werbung) scheint eine Alibi-Veranstaltung, Internetwerbung ist auf vielen Seiten unverändert übertrieben bis unerträglich. Auch die Vergabe von Werbeplätzen über Zwischenhändler, die gerne höchst dubiose Seiten voller Malware und nicht jugendfreier Inhalte verlinken, bleibt ebenso gleichbleibend.
Während Chrome natürlich alle Entscheidungen von Alphabet brav verteidigt, gehen andere Chromium-Browser auf Distanz. Opera, Vivaldi und Brave wollen die Änderungen nicht (oder nicht komplett) in den eigenen Codestand übernehmen. Opera sieht es dabei etwas lockerer, man ja hat ja seinen eigenen Werbeblocker, Vivaldi und Brave werden weiterhin externe Werbe-Blocker ermöglichen. Microsoft, die ja für ihren Edge-Browser Chromium nutzen möchten, mochte sich erst gar nicht äußern. Der ideale Start für eine Kooperation sieht wohl anders aus!
Mit so einem Gegenwind hatten die Chromium-Entwickler bei ihrer ersten Mitteilung im Januar nicht gerechnet. Die Verantwortlichen sind daher gerade auf Deeskalations-Kurs. Allzu groß ist das Misstrauen zwischen Konzern und Entwicklern.
Natürlich wissen alle Beteiligten sehr wohl, dass Chrome noch mehr Geld einbringen könnte, wenn die Nutzer überhaupt keine Werbeblocker einsetzten. Nachdem in Entwicklerkreisen zuletzt Stimmung herrschte, wie kurz vor dem Armageddon, soll die neue Declarative Net Request Ichnittstelle einen sicheren Ersatz bieten und auch Werbeblocker und andere Sicherheitsprogramme zulassen. Diese Schnittstelle ist aber weitaus weniger flexibel als ihre Vorgängerin und erlaubt keine Werbungs-Listen über 30.000 Einträge – viel zu wenig für potente Adblocker. Auch soll der Browser zukünftig die Seite komplett lesen, erst dann sollen Erweiterungen Zugriff darauf auf Inhalte haben, Eingaben der Nutzer sehen Erweiterungen an dieser Stelle gar nicht. Viel zu tun für Macher von Sicherheitslösungen und Werbeblockern! Nach den nassforschen ersten Beiträgen von Alphabet ist zuletzt wenigstens mehr Kompromissbereitschaft eingekehrt. Ob oder in welchem Umfang Programme wie wie Adblock Plus, uBlock Origin oder Ghostery auf Chrome zukünftig funktionieren werden, steht dennoch in den Sternen.
Für diese Problematik gibt es wohl nur eine endgültige Lösung, die jedoch niemals umgesetzt wird! Wenn die Werbebetreibenden nicht nur Lippenbekenntnis abliefern, sondern Werbung wirklich nutzerfreundlich umsetzen, die Seitenbesucher keinen Risiken aussetzen und zweifelhafte Anbieter boykottieren, könnte man auf Werbeblocker verzichten. Denn auch die Internet-Nutzer sind nicht dumm und verstehen durchaus, dass sich eine Seite finanzieren muss. Tut sie das aber, indem es an allen Ecken zappelt, blinkt, die ganze Seite zuckt – ist das Maß überschritten! Solange zuverlässig Milliarden erwirtschaftet werden, wird auch Google nicht die Daumenschrauben anziehen und erst recht kein Umdenken in der Szene stattfinden.
Was mich interessiert: Würden Sie Chrome auch ohne Werbeblocker nutzen oder doch zu einem anderen Browser wechseln?