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Virtuelle Realität mit der Oculus Quest – ein Selbstversuch

Sven Krumrey

Schon seit Ewigkeiten ist die virtuelle Realität (VR) der Traum vieler kreativer Geister. Spätestens ab dem Film „Avatar“ spukt der Gedanke, Zeit in einer künstlichen Welt zu verbringen, in zahlreichen Köpfen herum. Ich stehe hingegen, weniger transzendent und für alle sichtbar, mit Brille und Controllern in einer Ashampoo Teeküche und fuchtele wild mit den Armen herum. Ein klein wenig macht man sich halt immer lächerlich, wenn man gerade etwas sieht, was für andere nicht da ist. Doch dieser volle Körpereinsatz lohnt sich, denn ich teste mit der Oculus Quest-Brille ein ziemlich interessantes Stück Entertainment-Elektronik für Sie. Denn wo man vorher einen recht performanten Rechner brauchte und Sensoren im Raum verteilen musste, reichen nun Brille und Controller – und es kann losgehen!

Auch ohne Rechner und externe Sensoren nutzbar: Die Oculus Quest

Packt man das gute Stück aus, gibt es keine besonderen Überraschungen. Die Brille selbst ist durchaus wuchtig und ca. 500 Gramm schwer, daneben wirken die beiden Controller fast zierlich. Dazu gibt es noch Ladekabel, einen Gummizug zum Umschnallen der Brille und einen Abstandhalter für Brillenträger, mehr gibt es nicht. Die Brille selbst wirkt solide. Vorne weist sie vier kleine Kameras auf, über deren Sinn man sich anfangs noch nicht ganz im Klaren ist. Startet man die Brille, sieht man die Welt um sich herum zunächst in grobem Schwarzweiß. Zuerst richte ich das WLAN ein, über das die Brille Kontakt zum Internet hält und Updates bekommt. Danach erhalte ich die Aufforderung, den „Guardian“ zu erstellen. So wird die Spielzone im Zimmer genannt, in der ich mich frei bewegen kann, ohne gegen Schränke, Tisch oder Wände zu laufen. Also zeige ich mit den Controllern auf den Bereich, wo ich mich bewegen kann, ohne die Einrichtung zu demolieren oder mich zu verletzen. Sonst hieße es nämlich „Hallo Virtualität! Auf Wiedersehen Inneneinrichtung!“. Als ich damit fertig bin, sehe ich den Bereich durch die Brille optisch abgegrenzt mit einem Gitternetz gekennzeichnet.

Die vier Kameras dienen also dazu, dass ich weiß, wo ich mich befinde – und die Brille ebenfalls. Sie muss die ganze Zeit erkennen, wo mein „Spielplatz“ ist – und wo nicht, sonst kollidiere ich mit der Einrichtung des Raums. Das wirklich große „WOW“ beginnt allerdings erst, als ich diesen Bereich betrete. Aus dem trüben Schwarzweiß der Teeküche wird ein fantastischer, großer Raum mit Kaminfeuer, großen Fenstern und Bücherregal. Wenn man so will, ist dies mein (höchst wohnlicher) Desktop. Das Staunen füllt auch meine ersten Minuten aus. Die Grafik ist nicht perfekt, aber gut, durchaus realistisch und man kann sich halt darin bewegen, in alle Richtungen umschauen und den Ausblick genießen. Mit 1.600 mal 1.440 Pixeln pro Auge ist das Bild scharf, ein leichtes Raster (auch Fliegengittereffekt genannt) kann man allerdings erkennen. Dann erst kommen die Kontroller zum Einsatz. Mit ihnen kann ich Menüs öffnen, navigieren, auswählen und scrollen. Nachdem ich als geborener Grobmotoriker die ersten Minuten meine Schwierigkeiten habe, wandern die Finger immer häufiger zum richtigen Knöpfchen und ich widme mich den Möglichkeiten des Geräts.

Der Lieferumfang der Oculus Quest

Die Oculus Quest hat einen schnellen Snapdragon 835 Prozessor mit Adreno 540 Grafikeinheit, verbirgt also gut Dampf unter Haube. Damit startet die Brille recht schnell, auch Spiele lassen sich angenehm zügig laden. Ganz klar: Mit der Grafikpower eines modernen PCs kann und will sich ein solches Gerät nicht messen, das wäre für 450€ (für die 64GB-Version) auch etwas zu viel verlangt. Die meisten Grafiken sind eher vereinfacht, viele Spiele wurden im Comic-Look gestaltet, um alles ruckelfrei zu bekommen. Ein Schwachpunkt: Die Brille muss sehr genau sitzen, sonst wird es unscharf. Menschen mit kleineren Köpfen (und kleinen Nasen!) dürften aber Schwierigkeiten haben, sie immer exakt zu positionieren und bei Bewegung auch dort zu behalten. Für unterschiedliche Augenabstände kann man die Optik regulieren, die Sehschärfe leider nicht. Zwar gibt es einen Abstandhalter für Brillen, der soll jedoch für wilde Bewegungen nicht stabil genug sein.

Aktuell stehen Spiele noch klar im Vordergrund. Es macht auch zu viel Spaß, virtuell die Angelrute auszuwerfen, durch eine Raumstation zu wirbeln oder den Boxring zu betreten. Man sitzt nicht länger vor Spielen, sondern befindet sich mitten drin. Und auch wenn die Spiele noch nicht perfekt sind, man z.T. eine gewisse Eingewöhnungszeit mit den Controllern braucht, die Wirkung ist verblüffend. Selbst eingefleischte PC-Spieler, wie ich einer bin, hampeln beseelt in der Gegend herum und haben den Spaß ihres Lebens. Nach ein paar Runden Boxen gerate ich durchaus ins Schwitzen, beim Angeln ziehe ich mit Begeisterung dicke Brocken aus dem Wasser und am Laserschwert bin ich inzwischen Fortgeschrittener. Die Steuerung kann allerdings auch frustrierende Momente beinhalten, denn was man wie drehen und klicken muss, um z.B. eine Angel einzuholen oder dem Gegner einen KO zu verpassen, ist manchmal eher hakelig. Spiele-Controller sind halt keine Hände und nicht alles verläuft intuitiv. Auch braucht man gehörig Platz, freie 3 x 3 Meter sind empfehlenswert, wenn man das volle Potential der Spiele ausschöpfen will. Die Kopfhörer sind im Brillenband verbaut und okay – mehr aber auch nicht. Wer kristallklares Dolby 7.1 genießen will, wird hier nicht glücklich werden.

Das virtuelle Wohnzimmer Das virtuelle Wohnzimmer

Auch Filme die mit 360-Grad-Kamera aufgenommen sind, lassen sich ansehen - und sind atemberaubend. Ob man durchs All fliegt, eine Küstenstraße im schönen Kalifornien entlang fährt oder ein Livekonzert anschaut, man versinkt im Bild und ist einfach nur beeindruckt. Auch Netflix hat eine App spendiert, hier kann man es sich in der virtuellen guten Stube bequem machen und das Programm der Wahl anschauen. Stunden pausenlosen Tragens der Brille würde ich, bei allem Entertainment, allerdings nicht empfehlen. Irgendwann spürt man das Gewicht doch im Nacken, zudem können die Sinne leicht rebellieren. Es werden den Augen hier rasche und intensive Bewegungen vorgetäuscht, der restliche Körper bekommt aber nichts davon mit. Spieler mit Übelkeit (ähnlich einer Seekrankheit) oder leichten Sehproblemen sind wohl keine Seltenheit. Zudem fehlt mir mit der Zeit etwas die Langzeitmotivation. Ist der erste Wow-Effekt vergangen, kommt es halt doch darauf an, wie gut die Spiele sind, welche Inhalte die Filme haben und in welcher Bildqualität alles gezeigt wird. Und hier können die Titel (noch) nicht mit PC-Titeln oder Blu-ray-Filmen konkurrieren. Auch stecken Navigation, Profilverwaltung und Teil-Funktionen noch in den Kinderschuhen. Als ich mich testweise bei Facebook einlogge, komme ich nicht wieder raus, ohne das Gerät komplett auf Werkseinstellungen zurückzusetzen – das habe ich noch nie erlebt!

Sie merken, das Gerät macht Spaß, ist aber nicht der Weisheit letzter Schluss. Noch nerven zu viele Kleinigkeiten, um eine klare Kaufempfehlung auszusprechen. Wir stehen hier noch am Anfang einer Entwicklung, die irgendwann auch in den Alltag vieler Menschen einziehen wird. Denn die Möglichkeiten sind weitaus größer, als nur reine Spielerei umzusetzen. Wie eindrucksvoll könnte man Wissen vermitteln, wenn z.B. Kinder mitten in einem historischen Spektakel stehen, statt es nur gedruckt oder auf einem Bildschirm zu sehen? Schon heute bilden Spiele wie „Assassins Creed“ historische Schauplätze überraschend realistisch ab. Geschichtsinteressierte Kinder könnten mit VR das antike Rom oder Griechenland extrem realistisch erforschen. Wie sinnvoll wäre es, angehenden Chirurgen den menschlichen Körper frei in 3D zu präsentieren? Aber auch für Menschen, die nicht (mehr) mobil sind, könnte eine solche Brille enorm viel bringen. Ein Spaziergang an der Küste oder noch mal die alte Heimat zu sehen – hier könnten viele Herzenswünsche erfüllt werden! Also warten wir ab, was uns spätere Generationen dieser Geräte bringen. Ungeduldige können aber auch schon jetzt zuschlagen, Spaß macht das Gerät auf jeden Fall.

Wie immer ist dies keine Werbung und ich bekomme dafür weder Geld vom Hersteller, noch das Gerät selbst. Schade eigentlich!

Was mich interessieren würde: Könnten Sie sich selbst vorstellen, eine solche Brille zu tragen oder ist das für Sie einfach Humbug?

Bild 1 und 2: Facebook Technologies, LLC

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