LIFE

„Weißt Du schon, dass WhatsApp weg ist?“

Sven Krumrey

Es sollte ein ganz normaler Abend werden. Die Alan Parsons-CD „Tales of Mystery and Imagination“ säuselte aus den Boxen, ein dampfender Tee plus Lektüre lagen bereit, später stand ein Krimi auf dem Plan. Dann ertönte ein fast vergessenes Geräusch – ich hatte eine SMS bekommen. Das machen eigentlich nur Ämter oder Firmen zur Konto-Verifikation, also guckte ich neugierig drauf. Ein Freund meldete sich: „WhatsApp ist weg, Facebook ist weg, es wird schon gefragt, was jetzt kommt! Chaos total!“ Das klang nun doch interessant und wollte nur mal kurz nachschauen.

Ein paar Stunden ohne drei Giganten

Und während mein PC startete, meldeten sich Signal und Telegram – man wollte mich nur informieren, dass WhatsApp weg sei, Facebook und auch Instagram. Danke, das wusste ich bereits. Twitter überschlug sich vor Schadenfreude und Selbstgefälligkeit. Hier schaut man zuweilen etwas verächtlich auf das ältere Facebook-Klientel und die Selbstdarstellungs-Spezialisten von Instagram. Dass jene nun offline waren, während Twitter weiter lief, sorgte für Ausgelassenheit. Derweil kam die erste Mail zu dem Thema rein: „Newsletter aktuell: WhatsApp offline…“.

Wer gerade nicht offline war, erging sich in Mutmaßungen bis wirren Theorien. Iranische Trojaner seien verantwortlich oder man habe wegen der aktuellen Whistleblowerin bei Facebook irgendwie alles umgestellt und nun funktioniere nichts mehr. Ein paar besonders fantasievolle Zeitgenossen verbanden alles mit dem Windows 11-Release, es können ja kein Zufall sein, dass beides terminlich so eng zusammenliege. Ein Blick auf die Nachrichtenseiten zeigte Hysterie pur: Auf wirklich jedem Portal war der Ausfall Nachricht Nummer 1. Wahlen, Kriege, Nobelpreise – egal, man kann gerade nicht posten, was man so isst oder wie das letzte Bauchmuskeltraining gewirkt hat! Skandal!

Mark Zuckerberg himself äußert sich schon beschwichtigend, die Social Media Teams der betroffenen Firmen legten einen Gang zu. Ich erwartete schon Videos mit weinenden Managern, wie man sie aus Asien kennt, es blieb aber bei Floskeln, Entschuldigungen und Ankündigungen. In den Tech-Foren perlte Häme oder man schickte sich seine schönsten Fehlermeldungen zu. „5xx Server Error“ war der Favorit und Admins schlugen sich mögliche Fehlerquellen um die Ohren. Etwas sachlichere Naturen vermuteten schon jetzt eine DNS-Problematik oder einen falsch eingestellten Router. Auf Twitter versuchte nun einfach jeder, lustig zu sein und aus der Situation humoristisches Kapital zu schlagen. Angeblich kannte nun praktisch jeder zahlreiche Leute, die sich in ihrer Not bei Twitter anmeldeten, um endlich wieder etwas posten zu können.

Influencer im Stress: Einen Abend kein Produkt in die Kamera halten Influencer im Stress: Einen Abend kein Produkt in die Kamera halten

Die ersten Hochrechnungen kamen über den Ticker, Zuckerberg habe schon mehrere Milliarden US-Dollar verloren und sei nun „nur noch etwas über 120 Milliarden schwer“. Fast wollte man den Hut für den armen Kerl rumgehen lassen. Genüsslich wurde berichtet, die Mitarbeiter kämen nicht mal mehr in Büros und Meeting-Räume, weil jene natürlich vernetzt und nun mit ihren Sicherheitssystemen offline gerade seien. Eine weitere Meldung rauschte heran, die Facebook-Domain (www.facebook.com) stünde zum Verkauf, als sei das Ende des Giganten gekommen. Das war jedoch anscheinend eine Ente, meine eigenen Pläne, die Seite dem Tierschutz zu schenken, erledigten sich damit.

Interessanter waren die Kommentare jenseits der unvermeidlichen Witzeleien. Manchen Politikern fiel erstmals auf, dass es doch gewisse Abhängigkeiten gebe, wenn WhatsApp, Facebook und Instagram praktisch aus einem Hause kämen. Ein anderer Herr in Regierungsverantwortung, der das Internet anscheinend nur von seinen Enkeln kannte, zeigte sich schockiert über die pure Zahl von 6,2 Milliarden Nutzern und die ihm anscheinend unbekannte Möglichkeit, über WhatsApp zu telefonieren. Vielleicht kann das sein heimisches Gerät mit der Drehscheibe nicht. Andere zeigten sich bestürzt, dass so ein Ausfall überhaupt möglich sei, als seien große Firmen vor Versagen gefeit.

Derweil meldete sich auf meinem Handy eine längst vergessene Nachrichten-App mit einer Push-Nachricht (der ersten seit Installation!), um mir die tragische Kunde zu übermitteln. Mein Festnetz klingelte – ja, ich hatte es auch schon mitbekommen, ja, kaum zu glauben, ja, ich kann auch einen Abend ohne leben. Uff, das wurde stressig! Schon wurde launig spekuliert, wie sich der Abend auf die Geburtenrate auswirken könnte, man verkündete die Rückkehr der SMS und beklagte überlastete Telefonnetze. Die Menschen sprachen wieder miteinander, kaum zu glauben. Journalisten berichteten von einem „denkwürdigen“ Abend und gaben ihre Wasserstandsmeldungen ab, wer jetzt bei welchem Dienst etwas tun könne und welche Alternativen es gebe.

Gemütlichkeit statt Hysterie

Facebook mag ein Tor zur Welt sein, Instagram schöne Bilder liefern und WhatsApp Menschen verbinden – doch ein falsch konfigurierter Router in weiter Ferne schenkte vielen einen unerwartet ruhigen Abend. Inzwischen lief bei mir sanfter Jazz und in einer Stunde würde der Inspektor einen Mord in der englischen Oberschicht aufklären, alles war gut. Die Zugvögel weit über mir scheinen von dem Ernst der Lage ebenfalls ungerührt. Als der PC aus und das Handy auf stumm gestellt waren, kehrte wieder Ruhe ein. Es wartete immer noch das Buch auf mich, Billie Holiday sang über die Liebe und die Welt drehte sich weiter.

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