Droht ein Europa ohne WhatsApp, Facebook und Instagram?
Meta, ehemals Facebook Inc. und somit ein wahres Imperium, hat unlängst eine schauerliche Drohung ausgesprochen. Wenn man nicht wie bisher mit den gesammelten Daten umgehen könne, habe seine Produktpalette mit Facebook, WhatsApp und auch Instagram keine Zukunft in Europa. Die Drohung ließ uns in der Redaktion atemlos zurück – zu sehr hatten wir gelacht. Denn niemand kann sich vorstellen, dass man seine Goldesel kampflos aufgeben könnte. Aber was steckt eigentlich hinter diesem Konflikt, worin unterscheiden sich die Standpunkte so grundlegend?
Im Jahresbericht von Meta, dem milliardenschweren Mutterkonzern von Facebook und Co, wurden dramatische Klänge angeschlagen. Sollte es keine transatlantische Vereinbarung zum Datentransfer geben, werde man die wichtigsten Produkte und Services in Europa nicht mehr anbieten können. Vorher konnte man sich immer auf sogenannte Standardklauseln zur Übermittlung personenbezogener Daten beziehen, genau diese Klauseln sind aber vor europäischen Gerichten umstritten. Seitdem herrscht Unsicherheit und man zeigt sich besorgt, dass Metas finanzielles Ergebnis negativ beeinflusst werden könne. Da passte die just fulminant gestrauchelte Meta-Aktie bestens ins Bild. Schon immer geistern zwei Schreckgespenster durch die Hauptsitze der Internet-Imperien: Steuern und Datenschutz. Die eine mindert den Profit, das andere kann ganze Geschäftsfelder trocken legen. Entsprechend nervös reagieren Konzerne, wenn sich hier etwas ändert.
Wer sich an 2020 erinnert, dem kommt vieles sehr bekannt vor. Meta, hier noch Facebook heißend, drohte bereits damals mit Rückzug aus dem europäischen Markt. Schon vor zwei Jahren hatte der Europäische Gerichthof entschieden, dass das sog. Privacy Shield-Abkommen, welches den transatlantischen Austausch personenbezogener Nutzerdaten regelt, ungültig sei. Besonderer Streitpunkt: Der Zugriff US-amerikanischer Sicherheitskräfte auf „ausländische Kommunikation“, also die Daten der Menschen weltweit. Die Lage ist durchaus verzwickt, persönliche Informationen dürfen generell an Auftragsverarbeiter in Drittländer übermittelt werden, doch müsse für die Privatsphäre ein „angemessenes Schutzniveau“ herrschen, die Überwachungsmöglichkeiten sollten „auf das zwingend erforderliche Maß beschränkt“ sein. Geheimdienste wie die NSA sehen dies natürlich völlig anders und wesentlich zwangloser.
Dieses Datenschutz-Niveau muss dabei laut der EU-Gerichte von allen Beteiligten gewahrt werden, spielt jemand nicht nach den Regeln, wird der Datenhahn zugedreht. Dabei tun sich die Behörden und Gerichte bislang schwer, dies auch einzufordern, die Problematiken sind recht neu und man will es sich nicht mit den Tech-Giganten verderben. In letzter Zeit bemerkt man aber zunehmende Beharrlichkeit der Datenschützer. Das übliche Aussitzen von Problemen scheint nicht zu funktionieren und die überschaubaren Steuereinnahmen motivieren die Beamten zusätzlich. Für multinationale Unternehmen ist das natürlich ein großes Problem. Wer weltweit agiert, muss den eigenen Behörden gerecht werden (was bei den traditionell zupackenden US-Behörden schon anspruchsvoll genug ist), aber auch jene Länder zufrieden stellen, in denen die Kunden sitzen. Und die europäische Datenschutzgrundverordnung hat es durchaus in sich.
Standardvertragsklauseln sollen den Datentransfer regeln, doch beinhalten sie weitere (lästige) Pflichten für die Firmen und sind anscheinend nicht so wasserdicht und zukunftssicher wie gewünscht. Doch alle Entwicklungen machen nur Sinn vor dem Hintergrund des kommenden Digital Markets Acts. Das EU-Parlament will mit diesem Gesetz die enorme Macht der Digitalkonzerne einschränken und das Sammeln von Daten (und Erstellen von Benutzerprofilen) erschweren. Genau dieses Geschäft sorgt aber für das gezielte Bewerben und ist ein nunmehr bedrohter Milliardenmarkt. Kein Wunder, dass Brüssel gerade vor Lobbyisten nur so wimmelt. Konzernchefs kriegen bei solchen Aussichten schweißnasse Hände. „Wenn wir nicht in der Lage sind, Daten zwischen Ländern und Regionen, in denen wir tätig sind, zu übertragen, oder wenn wir daran gehindert sind, Daten zwischen unseren Produkten und Dienstleistungen weiterzugeben, könnte dies unsere Fähigkeit, unsere Dienstleistungen zu erbringen, die Art und Weise, wie wir unsere Dienstleistungen erbringen, oder unsere Möglichkeiten, Anzeigen zu schalten, beeinträchtigen,", so steht es im Jahresbericht.
Kaum vorstellbar : eine Welt ohne Meta-Produkte
Da stellt sich doch die Frage: Wieviel Datenschutz kann ein Unternehmen wie Meta überhaupt vertragen? Es macht nachdenklich, wenn eine Datenschutzgrundverordnung ein Unternehmen (angeblich?) in der Ausübung seines Geschäftsmodells bedroht. Auf der anderen Seite ist die Benennung des WWW nicht zufällig entstanden, das World Wide Web tauscht Daten zwischen allen Ländern der Welt aus, schon immer. Kann man das nicht mit einem Mindestmaß an Datenschutz vereinen? Datenschützer sehen die plakative Opferrolle Metas als reine Strategie. Ist es möglich, dass ein Unternehmen mit einem Jahresumsatz über dem Bruttoinlandsprodukt ganzer Staaten da keine Lösung findet? Könnte man die Kollegen, welche sonst so kreativ in der Steuervermeidung sind, vielleicht mal auf ein anderes Thema ansetzen? Der Spott war natürlich groß, gleichzeitig erlebten zahlreiche Influencer tiefe Krisen, sahen sie sich doch mit drohender Lohnarbeit konfrontiert. Wie würde ein Europa ohne die Meta-Dienste aussehen? In Teilen wäre der Alltag anders, aber nicht so sehr, wie es sich mancher ausmalt.
Schon jetzt sind viele Nutzer von WhatsApp zu „diskreteren" Diensten umgestiegen. In Zukunft einfach Signal, Telegram, etc. zu nutzen, dürfte wohl nur Technikfremde ernsthaft fordern. Auch Facebook scheint seine allergrößte Zeit, jedenfalls in den werberelevanten Altersklassen, hinter sich gelassen zu haben. Und was ist mit Instagram, Hort des schönen Scheins? Realistisch gesehen, dürfte es vielleicht ein paar Monate dauern, bis sich irgendeine andere Plattform ersatzweise etabliert. Ein Bedarf dürfte bestehen, interessierte Firmen mit großen Mitteln und Plänen scharren schon mit den Hufen. Gäbe es gar ein Google Plus Comeback? Entsprechend entspannt waren auch Juristen und Politiker, niemand will sich unter Druck setzen oder in irgendeiner Art gar erpressen lassen. Der deutsche EU-Politiker Wölken schrieb gleich von einer leeren Drohung und merkte zynisch an, man brauche keine Unternehmen, deren Geschäftsmodell nicht „ohne Spionage auskomme“. Das ist natürlich etwas platt, denn für viele Dienste gilt der unausgesprochene Deal „Service gegen Nutzerdaten“, man zahlt mit seinem Benutzerprofil. Doch die Nachricht ist eigentlich eine andere: Wer sich nicht mit geltenden Gesetzen arrangieren kann, darf seine Geschäfte nicht fortführen. Für Privatpersonen absolut keine Frage – wieso sollte es für Konzerne anders sein?
Meta ruderte zuletzt schnell zurück, man wolle sich ja gar nicht zurückziehen, es sei gerade halt schwer und man wolle nur mehr Rechtssicherheit. Aber wie sehen Sie es – wäre das Ende von Facebook, Instagram und Whatsapp ein Verlust für Sie?