Willkommen in einem magischen Land der grenzenlosen Gier: Diablo Immortal
1997 war ich in meinen Semesterferien nicht so fleißig, wie ich sollte. Statt mich mit „Wagner als Dichter“ zu beschäftigen, wollte ich lieber gegen den Dämon Diablo im gleichnamigen Computerspiel kämpfen. Stunde um Stunde bezwang ich grimmige Gegner, sammelte bessere Ausrüstung und stieg mit meiner Spielfigur immer weiter auf. Mit dem Pixel-Schwert in der Hand metzelte ich mich glücklich durch düstere Katakomben und blieb, Jahre später, auch den Teilen 2 und 3 treu. Diese Treue und jegliche Sympathie endeten nun abrupt mit dem Release von Diablo Immortal, wo man im Spiel locker den Preis eines Kleinwagens versenken kann. Genug ist genug!
Free to Play ist der magische Begriff, der Herz und Portemonnaie der Spielergemeinde gleichermaßen öffnen soll. Das Grundprinzip ist recht einfach, der Nutzer muss kein Geld bezahlen, um das Spiel zu spielen, alle Grundfunktionen des Spiels sind gratis. Der Produzent senkt so die Schwelle für Neugierige, Sparsame und Zögerliche, die nicht einfach Geld in ein Spiel unbekannter Qualität versenken wollen. Das klingt fair? Zuerst schon, denn diese Spiele sind meistens so konzipiert, dass man anfangs gar kein Geld bezahlen muss, um Spaß zu haben. Man findet sich in der neuen Spielwelt und den Spielmechanismen zurecht, bis der magische Moment der Refinanzierung kommt. Damit tritt das Spiel in eine entscheidende Phase, wenn aus einem „Free to Play“ ein „Please Pay“ wird.
Irgendwann ist das unbeschwerte Gratis-Zocken nämlich vorbei, ob dem Nutzer eher dezent oder mit dem Holzhammer vermittelt. Nur wenige Spiele finanzieren sich allein durch Werbung und keine Firma lebt von Luft und Liebe, kein Server läuft mit gutem Willen. Die wirklich guten Spiele überlassen es den Spielern selbst, ob sie überhaupt Geld investieren, bieten für Geld aber echten Mehrwert – und achten auch darauf, dass sich echte Fans nicht in übermäßige Unkosten stürzen. So kann man zum Beispiel investieren, damit der eigene Charakter etwas interessanter aussieht oder eine besonders gute, seltene Waffe bekommt. Oder man investiert echtes Geld, um innerhalb des Spiels mehr Spielgeld zu haben. Dieses Geld könnte man meistens sich auch im Spiel verdienen, der Spieler trifft aber bewusst die Entscheidung, alles mit einem kleinen Beitrag zu beschleunigen – damit kann man leben. Viele Spieler freuen sich sogar, wenn sie den Machern für all den Spielspaß etwas zukommen lassen können und gleichzeitig noch etwas Nettes bekommen. Doch vom Free to Play bis zum virtuellen (rechtlich zweifelhaften) Spielecasino ist es oft nur ein Katzensprung!
Es gibt viele Mittel, Spieler zum Zahlen zu animieren. Man kann ihnen etwas Feines bieten, sie sanft drängen oder schlicht nerven, wie etwa mit extrem drögen Aufgaben. Besonders umstritten sind dabei sogenannte „Lootboxen“. Das sind innerhalb des Spiels meistens Schatztruhen (oder ähnliche Behälter), in denen sich Waffen oder besondere Gegenstände befinden. Diese Lootboxen kann man freispielen (oft langwierig und mühsam) – oder gleich kaufen. Da man aber nicht sehen kann, was sich in diesen Truhen befindet, kommen sie dem Glücksspiel verdächtig nahe. In diesen Boxen sind zudem Gegenstände, mit denen man seine Spielfigur weiterentwickeln kann, was ein wichtiges Ziel des Spiels ist. Hier ist daher das Geld keine bloße Erleichterung oder Luxus, ohne die Zahlungen macht es langfristig schlicht keinen Spaß mehr, wie häufig berichtet wird. In Belgien und den Niederlanden sind jene Gewinnspiele im Spiel bereits verboten, im Vereinigten Königreich und Deutschland wird dies immer wieder gefordert. Daher sei ganz klar gewarnt: Wer mit Suchtverhalten gewisse Probleme hat, möge dieses Spiel meiden, an jeder Ecke wird für weitere Transaktionen geworben. Und wenn man das Gefühl hat, dass mehr Kreativität in die Monetarisierung als in die Spielgestaltung investiert wurde, ist das Kind bereits in den Brunnen gefallen.
Der echte Diablo-Fan trägt Rüstung
Man zeigt dabei rekordverdächtige Dreistigkeit. Wenn man in einem Rollenspiel eine Aufgabe erfüllt, folgt normalerweise eine Belohnung, klassisch „Gold“ (also Spielgeld), eine besondere Rüstung oder Waffe. Was kann man bei Diablo Immortal als Preis bekommen? Werbung für weitere Käufe! Als ein Spieler kürzlich eine besondere Aufgabe im Spiel beendete, war seine Belohnung die Möglichkeit, für schlappe 6,99 $ weitere Gegenstände zu kaufen. Ich stelle mir gerade vor, wie die Gefährten im Herrn der Ringe ihre große Heldentat erfüllen, feierlich von König Aragorn empfangen werden, der ihnen aber nur ein paar unnötige Klamotten andrehen will. „Mein König, der Ring ist zerstört.“ „Dafür hast Du Dir einen satten Rabatt verdient, lieber Hobbit.“ Besonders aufwändige Kostüme schlagen im Spiel mit 20 Euro zu Buche, etliche nützliche Gegenstände gibt es für den schmalen Taler, einen Maximalbetrag gibt es nicht. Manche haben schon in kürzester Zeit fünfstellige Beträge investiert, ohne einen „legendären“ (also besonders seltenen) Gegenstand erworben zu haben. Böse Zunge reden schon von Candy Crush mit Dämonen oder ziehen Parallelen zu OnlinePoker- und Lotterie-Anbietern.
Bei allem Groll will ich nicht komplett unfair sein: Das Spiel ist gut gemacht, besonders für ein Mobile Spiel, das halt nicht mit schneller CPU und Grafikkarte rechnen kann. Es macht zuerst durchaus Spaß, sieht gut aus und bietet auch den Fans der Reihe genug vertraute Momente. Diablo war schon immer etwas düsterer und weniger naturromantisch / verkitscht mittelalterlich als andere Rollenspiele, das ist nett umgesetzt. Wie von Blizzard erwartet, kennt man seine Fans genau und weiß, womit man sie erwischen kann. Hinter all dem steht jedoch durchaus drückend und drängelnd ein allgegenwärtiger Shop sowie Ressourcen, die sich ohne Geld nur mit Mühe erringen lassen. Weiter warten echte Fortschrittsbremsen, welche man mit Geld sehr viel einfacher lösen kann. Wer da stumpf drüber steht, monotonieresistent und mit eisernem Willen gegen jedes Angebot immun ist, kann durchaus Spaß mit diesem Spiel haben. Wer sich hingegen schon bei Tablets wie Amazons Fire HD gegängelt und zum Kauf gezwungen fühlt, wird sich mit Grausen abwenden.
Bei Blizzard Entertainment mag man Geld (zu) sehr
Die Fans haben sehr eindeutig reagiert, bei den Nutzerbewertungen der gängigen Plattform Metacritic belegt man Platz 12.451 – bei 12.451 getesteten Spielen. Bei einer Skala von 0 bis maximal 10 kommt man auf glatte 0,2, die iPhone-Version rangiert bei blamablen 0,5. Die professionellen Kritiker sahen dies entspannter, hier landet man im Mittelfeld und auch die Downloads sind bei 10 Millionen, also doch alles gut? Nicht ganz, denn so verspielt man einen Ruf, für den man gut 20 Jahre intensiv gearbeitet hat. Man gehört spürbar nicht mehr zu den Guten und bemüht sich gerade händeringend darum, Diablo 4 komplett vom umstrittenen Immortal zu trennen, die Spiele hätten ja rein gar nichts miteinander zu tun, man solle sich bloß keine Sorgen machen. Damit macht man es sich etwas zu einfach, denn das Immortal-Desaster kommt nicht aus heiterem Himmel. Schon bei Diablo 3 konnte man in einem Online-Aktionshaus Gegenstände des Spiels ersteigern, wovon Blizzard sich immer seine Prozente nahm.
Ganz gleich, was an Geld in Blizzards Taschen gelangt, man hat damit eine gefährliche Richtung eingeschlagen. Statt einfach einen Maximalbetrag zu definieren oder das Spiel auch ohne Transaktionen mit einem gewissen Langzeitwert auszustatten, schmiss man die Gelddruckmaschine mächtig an. Mit großer Kompromisslosigkeit sahnt man mittels eines Klassikers speziell bei einem jungen oder besonders fanatischen Publikum maximal ab und setzt in dieser Richtung unschöne Maßstäbe. Wer hier nicht zahlt, muss als echter Stoiker durchs Leben gehen! Die Gaming Community vergisst aber nicht so schnell, was Firmen wie Ubisoft oder Electronic Arts schmerzhaft erfahren durften. Auch rechtlich könnte es interessant werden: Gab es vorher schon Bestrebungen, Spiele mit Glücksspiel-Elementen zu verbieten, dürften sie mit Immortal einen weiteren Schub bekommen. Wenn dann doch irgendwann Diablo 4 erscheinen sollte, wird ein dunkler Schatten über dem Spiel schweben – und es wird nicht der namensgebende Dämon sein!
Meine Frage: Würden Sie bezahlen, um in einem Spiel gewinnen zu können oder mehr Spaß zu haben?
Bilder: Dreamstime