Eine andere Sicht auf die Privatsphäre
Man soll sich ja auch mit Menschen unterhalten, die gänzlich unterschiedliche Meinungen haben, nur so wird man schlauer. Daher fand ich es doppelt interessant, einem Menschen zu begegnen, dem Tracking, ausgefeilte Kundenprofile und Co nicht nur egal sind, er sieht sie als gewinnbringend für sich an. Er empfindet es als Geben und Nehmen und fühlt sich denkbar wohl dabei. Willkommen in der Welt von Thomas*, Mittvierziger und Beamter, der alles ganz entspannt sieht. Eine klare Meinung hat er dennoch.
Bei Thomas sind, wie er selbst sagt „alle Schotten offen“. Im Gegensatz zu mir hat er nie einen Blick in die Einstellungen von Windows geworfen, nachdem er es mit Standard-Einstellungen installiert hatte. Google darf auf seinem Android-Handy einfach alles, er klickt immer Ja, wenn das System nach Berechtigungen fragt. Nur so läuft es für ihn angenehm. Google Maps nutzt er als Navi, zahlreiche wichtige Orte sind eingespeichert, die eine Landkarte seines Lebens darstellen. Alle verfügbaren Assistenten sind aktiviert, informieren ihn über alles Wichtige. Dass auch überflüssige Informationen dabei sind, lächelt er weg, der Nutzen überwiegt für ihn. Und klar, ein Amazon Echo steht auf dem Tisch.
Er redet gerne von Fairness, denn nur fair ist für ihn, wenn er mit seinen Daten für sonst kostenlose Angebote zahlt. „Ich finde im Netz mehr Informationen, Dienste und Dienstleitungen, als sich irgendein Mensch vor 20 Jahren vorstellen konnte. Ob Webcams, Verkehrshinweise, Nachrichten aller Art, Alltags-Infos, von denen ich massiv profitiere, alles ist da. Wie häufig habe ich früher den Hörer zur Hand nehmen müssen, um z.B. nach Öffnungszeiten zu erfragen? Heute habe ich alles vorliegen, die günstigsten Sprit-Preise, Waren aus aller Welt, Kultur und Finanznachrichten im Sekundentakt. Das Goldene Zeitalter der Information ist für mich in der Hand der Nutzer, lasst sie doch mein Werbe-Profil kennen, dann kriege ich wenigstens nicht dauernd Unsinn angeboten.“
Längst Alltag: Aktuelle News per Internet
Werbeblocker nutzt er nur in Ausnahmefällen, als Notwehr. „Ich kann Leute verstehen, die keine Werbung sehen wollen. Aber fair ist das nicht. Egal, ob es um die Nachrichten, das Wetter oder Unterhaltung geht. Diese Leute haben Kosten und unterhalten z.T. weltweite Infrastrukturen, um diese Inhalten bereitzustellen. Ganze Redaktionen, Server und Co. müssen bezahlt werden. Klar machen Firmen z.T. Milliarden-Umsätze, aber sie gingen auch lange Risiko mit ihren Strategien und legten damit den Grundstein für viele technische Innovationen, die wir heute nutzen. Und sie wären nicht so erfolgreich, wenn nicht viele Menschen ihre Dienste nutzen würden. Das Internet ist tot ohne Werbung oder wir müssten sonst für vieles direkt bezahlen, wer will das? Blocker nutze ich nur für Seiten, die es schwer übertreiben, sonst lasse ich alles laufen.“
Deshalb mag er auch personifizierte Werbung und beklagt nur ein Ärgernis. „Ich ärgere mich eigentlich nur, dass man mich noch nicht besser kennt. Früher bekam ich Werbung wie alle anderen auch, von der mich vielleicht 5% interessierte. Der Rest der Werbeplätze war an den Meistbietenden verkauft und machte keinen Unterschied, wer sich das anschaut. Dass mich etwas da wirklich etwas interessierte, war selten. Auch heute ist das System ist noch nicht perfekt. Ich hätte da gerne mehr Eingriffsmöglichkeiten. Wenn ich etwas gekauft habe, verfolgen mich dieses Produkt oder ähnliche Angebote noch für Wochen. Da hätte ich gerne den Knopf, dass ich schon gekauft habe und kein weiteres Interesse mehr habe.“
Den Kunden genau kennen, ein Traum für jede Firma
Er wünscht sich nicht mehr Werbung, sondern bessere. „Ich würde es mir wünschen, dass man mich kennt, wie einen Stammkunden. Ich gehe seit Jahrzehnten in das gleiche Geschäft, um Kleidung zu kaufen. Da kennt man nicht nur meine Größe, sondern auch meinen Geschmack. Wenn ich dort einen Wunsch äußere, muss ich die Sachen kaum noch anziehen, so gut werde ich da beraten. Ich würde sogar meine Maße angeben, weil es mich nervt, wenn mir Produkte angezeigt werden, die dann aber in meiner Größe nicht mehr da sind. Man kann das sicher als gläsernen Kunden darstellen, aber es zwingt mich ja niemand zum Kaufen, das ist immer noch meine eigene Entscheidung.“
Er wünscht sich sein Internet wie bei Netflix. „Dort weiß man genau, was mich interessiert und schlägt mir das vor, was ich wirklich sehen will. Wieso sollte es mich beunruhigen, wenn Netflix weiß, dass ich gerne Dokumentationen sehe? Ich muss mich nicht durch zahlreiche Kategorien quälen, bis ich etwas finde. Oder der Ticket-Shop, der mich immer daran erinnert, wenn meine Lieblings-Interpreten touren, wie viele Konzerte hätte ich sonst verpasst? Will ich wirklich immer die Zeitung zur Hand nehmen und mir mühselig alles zusammensuchen? Solange ich frei entscheiden kann, was ich tue oder lasse, genieße ich die Vorteile. Ich habe keine Lust, mich mit allen möglichen Programmen gegen etwas zu wehren, was ich nicht als Bedrohung ansehe.“ Und während er all das in mein Handy diktiert, sieht er sehr zufrieden aus.
Zum ersten Mal äußere ich hier ganz bewusst nicht meine eigene Meinung, die wurde in zahlreichen Blogs schon hinlänglich verewigt. Aber was denken Sie über seine Ansichten?
*Thomas heißt anders, das ahnten Sie schon.