Die große Unbekannte – die Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB)
Über manche Dinge spricht man nicht. Sich selbst googlen, eitle Selfies machen, Fastfood in sich hineinstopfen oder auf der Straße wegschauen, um nicht mit bestimmten Menschen sprechen zu müssen – das behält man lieber für sich. Wo man einfach immer lügt: beim Abhaken von AGB. Bei unzähligen Installationen, Käufen und Updates scrollt man mit Lichtgeschwindigkeit durch ellenlange Texte, um endlich die erlösende Zustimmung geben zu können, es soll ja weitergehen! Was man dabei nicht überlegt: Man geht damit einen Vertrag ein, ungelesen.
Schon lange gibt es die Furcht vor dem Kleingedruckten, die schon so manchem Unterzeichner von Versicherungsverträgen oder Darlehen den Schlaf raubte. Während es hier aber um wichtige Entscheidungen geht, ist der Kauf einer Kinokarte im Netz, die Nutzung eines WLANs im Café oder das Installieren einer App purer Alltag. Verbraucherschützer fordern daher eine Beschränkung auf gut lesbare 200 Wörter, um Inhalte für die Nutzer transparenter zu machen. Das meiste regeln sowieso Gesetze, die auch keine Geschäftsbedingung außer Kraft setzen kann. Und obwohl es Bestimmungen gibt, dass es in AGB keine „überraschende Klauseln“ geben darf, findet man in vielen Dokumenten diskussionswürdige Inhalte.
Dass wir blind zustimmen, ist oftmals gewollt. Wie The Atlantic mal ermittelte, würden wir z.B. 76 Werktage brauchen, um alle AGB zu lesen, die ein Durchschnittsamerikaner zu sehen bekommt. 2.514 Wörter sind der Durchschnitt, doch natürlich gibt es auch prominente Ausreißer. Die Deutsche Bahn hat beeindruckende 178 Seiten, manche Romane haben weniger. Wer Paypals Bedingungen gelesen hat, verdient meinen ehrlichen Respekt für immense Hartnäckigkeit! Kann man dies überhaupt alles lesen? Anders gefragt: Wer macht sich einen lauschigen Abend im Sessel mit Tee und AGB-Lektüre? Niemand, und das ist so gewollt. Denn oftmals verbergen Firmen hier Inhalte vor dem Nutzer, denen dieser sonst kaum zustimmen würden.
Lange Züge, lange Geschäftsbedingungen - die Deutsche Bahn
Weit verbreitet sind strittige Zugriffsrechte, ganz klassisch bei Handy-Apps. Hier verschleiern viele Programme, was sie mit persönlichen Daten anstellen dürfen. Was macht z.B. ein kleines Spiel mit dem Zugriff auf den Terminkalender, die Kontakte oder die Kamera? Käme das alles im Klartext, man würde die Software gleich entsorgen. Auf der gefühlten Seite 32 in unlesbarem Deutsch versteckt, stimmt man hingegen fröhlich zu. Die Bank of America behielt es sich vor, mit dem Handy des Kunden knipsen zu dürfen oder Anrufe zu tätigen. Apple hatte in den AGB für iTunes hingegen so viele mehrdeutige Klauseln zu Nutzungsbeschränkungen der Musikdateien, dass sie vor Gericht zu mehr Transparenz verdonnert wurden. Aber es können auch Abo-Verlängerungen, das Recht auf Werbeanrufe oder versteckte Kosten drin enthalten sein. Viele davon würden keinem Rechtsstreit standhalten, hier vertrauen die Firmen jedoch auf die Scheu der Nutzer davor, wegen zumeist kleiner Summen gleich den Rechtsanwalt einzuschalten.
Es lohnt sich durchaus, einen Blick darauf zu werfen, was Leute alles unbesehen absegnen. Scherzbolde und Datenschützer starten dazu immer wieder verblüffende Experimente. WLAN in London kostete so z.B. laut der AGB den Erstgeborenen, kein Hinderungsgrund für viele, vielleicht mochten einige auch ihre Kinder nicht besonders. 22.000 Festival-Besucher stimmten zu, 41,7 Tage Toiletten zu putzen, Kaugummis von Gehwegen zu kratzen und (mein Favorit) streunende Haustiere zu umarmen. Eine Soundsoftware durfte man nur nutzen, wenn man die Versorgung des Programmierers mit Waffeln übernehmen würde. Beim Spieleproduzenten Gamestation verlor man gar seine Seele, wenn man den AGB zustimmte, natürlich nur spaßeshalber. Die Könige der AGB, die Winkelmann und Hinkeldein GbR, verlangte die Beilegung von Rechtsstreitigkeiten per Duell, bei Streitwerten unter 25.000 € - immerhin mit Wasserpistolen.
Waffeln für den Programmierer
Um fair zu sein, es ist natürlich kein Stoff für einen unterhaltsamen Liebesroman, wenn man rechtliche Inhalte vermitteln muss. Gesetzliche Vorgaben (falls vorhanden) machen alles noch ein Stück schwieriger - aber muss z.B. Amazon Sätze benutzen, die über ganze zwölf Zeilen gehen? Gut, man zeigt immerhin Humor, wenn man seine Software Lumberyard für den Fall einer Zombie-Apokalypse freigibt, aber wichtiger wären wohl transparente Informationen für die Kunden. Hier sind wohl die Gesetzgeber gefragt. Es gibt bereits Vorschläge, AGB vor der Freigabe von staatlicher Stelle prüfen zu lassen oder die Verfasser zu zwingen, wichtige Inhalte wie Kosten farblich hervorzuheben. In Verbindung mit der bereits erwähnten Maximallänge käme man einem wirksamen Verbraucherschutz schon näher. Mich würde da sehr interessieren, wie Apple seine AGB für das iPhone, welche aktuell grob 14 DIN-A4-Seiten umfassen, auf 200 Wörter eindampft. Die würde ich sogar lesen!
Ob man selbst mit diesen Vorkehrungen auch die Jüngsten schützen könnte, darf durchaus bezweifelt werden. Das unter Teenies beliebte Snapchat gilt für Datenschützer als siebter Höllenkreis der AGB. Das Programm darf mit den Inhalten seiner oftmals jugendlichen Nutzer praktisch alles machen. Einsehen, löschen, personalisieren, damit werben, Rufnummern abgleichen, speichern, verändern und verteilen. Sie hätten auch „Wir dürfen ALLES!!!“, in die AGB schreiben können, das wäre ehrlicher gewesen. Als in einem großen Forum genau darüber diskutiert werden sollte, blieb der Aufschrei aus, es war ihnen schlicht egal.
Was mich interessieren würde: Hand aufs Herz, lesen Sie die AGB?