TECH

Microsoft Windows 10X: Der große Unbekannte

Sven Krumrey

Seit einigen Monaten geistert mit Microsoft Windows 10X immer wieder ein neues Betriebssystem durch die IT-News und beflügelt die Phantasie der Redakteure. Nein, Windows 10 bekommt keinen Nachfolger, doch vielleicht einen kleinen Bruder. Ein schnelles, kleines Windows für mobile Geräte mit 2 Bildschirmen war geplant, doch nun könnte 10X (X steht hier für Expression) eine wesentlich größere Bühne bekommen. Und da Teile der Technik bestimmt auch im normalen Windows 10 landen werden und die Redmonder hier gerade improvisieren müssen (was sie generell eher schlecht können), werfen wir doch einen kurzen Blick hinein!

Klein, faltbar, praktisch

Es begann alles eher bescheiden, Microsoft wollte weiter in den Bereich der Tablets vorstoßen. Besonders eine klappbare Variante (ähnlich einem Buch) mit zwei Bildschirmen namens Surface Neo stand im Fokus. Ganz nebenbei verkündete man noch die Rückkehr in den (hochpreisigen) Smartphone-Markt mit dem kommenden Surface Duo. Natürlich musste ein neues Betriebssystem her, Geräte mit Android, ChromeOS oder gar iOS wären eine Schmach gewesen, das normale Windows 10 war schlicht zu groß. Also erdachte man sich ein Windows Light, auch unter dem Codenamen "Santorini" bekannt. Und da man mit der Windows Mobile-Sparte schon hinreichend schlechte Erfahrungen gesammelt hatte, wären diese Geräte mit dem neuen Windows 10X schlicht Testballons gewesen. Man wollte halt schauen, wie Hard- und Software ankommen, bevor man größere Aktionen startet. Da wir aber in bewegten Zeiten leben, kam alles anders. Die Geräte werden realistisch erst nächstes Jahr erscheinen, das Betriebssystem ist aber schon weiter, also improvisiert Microsoft und will Tablets, einige Laptops und vielleicht auch PCs damit bestücken. Aktuell ist geplant, dass nur Neugeräte damit ausgeliefert werden sollen.

Natürlich ist noch alles in der Entwicklung, doch bestimmte Tendenzen sind klar zu erkennen. Der Fokus liegt ganz klar auf einfacher Bedienung, dem Internet und – Apps. Klassische Windows-Programme sollen später in einer Art virtuellem Container laufen, wo selbst Malware keinen Schaden anrichten kann, doch das klappt noch nicht. Ob es bis zum Release an den Start kommt, wird man abwarten müssen. Noch gibt es nicht mal ein definitives Erscheinungsdatum! Was man jetzt schon hat, ist ein aufgeräumtes und auf das Wesentliche reduziertes Windows. Gleich zu Beginn fällt die schnelle Installation positiv auf, gefolgt vom neuen, dreigeteilten Startmenü. Oben ist ein Suchschlitz für Programme, Dateien und Internetseiten, dann folgen die Programme, ganz unten dann die zuletzt geöffneten Dateien. Gar nicht mal schlecht und als Option sicher auch für das normale Windows 10 wünschenswert! Auch Updates sind schneller installiert und nerven nicht mehr mit dem üblichen „Neustart erforderlich“. Es hält sich das Gerücht, dass Windows 10X entweder komplett (oder in wichtigen Teilen) doppelt auf der Festplatte ist. Änderungen können so vorgenommen werden, ohne dass die gerade aktiven Dateien davon betroffen sind. Den oftmals trägen und quälenden Update-Prozess von Windows 10 einer Überarbeitung zu unterziehen, ist jedenfalls ein sehr ehrenwertes Anliegen!

So könnte es dann später aussehen

Was aktuell fehlt, sind die Namensgeber von Windows, die Fenster selbst. Ob das an dem aktuellen Entwicklungsstadium liegt oder man sich der Tablet-Ästhetik von Android anschließen will, werden wir sehen. Alles läuft im Vollbild, was auf einem Tablet oder Handy durchaus Sinn macht, bei Laptops oder gar PCs viele Windows-Veteranen eher nerven dürfte. Gerade Microsoft, die bittere Erfahrungen gemacht haben, wenn sie Versionen im Funktionsumfang beschnitten, sollten hier mit Fingerspitzengefühl agieren. Wenn Windows drauf steht, erwartet man auch Windows und nicht ein Betriebssystem wie ChromeOS, das einfach Apps und Browser aufruft und sonst kaum nennenswerte Funktionen aufweist. Ein ähnliches Gefühl stellt sich auch ein, wenn die sonst gewohnte Icon-Parade rechts unten in der Taskleiste fehlt. Konstant laufende Passwortmanager, Dropbox und Co sind aktuell Geschichte. Die sonstige gängige Windows-Praxis von zahlreichen Hintergrund-Programmen wird Windows 10X wohl nicht fortführen, was vielen sauer aufstoßen dürfte. Dafür bohrt man den Info-Bereich mit einem Action Center auf, wo nicht nur News zu Updates und Emails aufgeführt werden, sondern man auch Zugriff auf die wichtigsten Einstellungen wie Bildschirmhelligkeit oder Lautstärkeregelung hat.

Ein echter Schlag ins Kontor ist aktuell der Datei-Explore r. Der erinnert mich stark an die Entmündigung des Nutzers, wie sie leider auf vielen mobilen Geräten Alltag ist. Man kommt nicht mehr an Systemdateien, die klassische (C:)-Ansicht ist weg, eine Sortierung oder das Bearbeiten von Dateien ist auch nicht vorgesehen. Im Klartext: Man soll alles schön so belassen, wie Windows es eh alles ablegt und am besten gar nicht anfassen. Das schreit nach einer zusätzlichen Software, was natürlich nett für Firmen wie uns ist – aber eigentlich im Jahr 2020 vom Betriebssystem selbst kommen sollte. Da tröstet es nur ansatzweise, dass die ungeliebte Sprachsteuerung Cortana hier ein Nischendasein führt, selbst der sonst etwas quälende Einrichtungsassistent fällt weg. Eine neue Sprachsteuerung soll irgendwann folgen, unlängst wurden noch Spezialisten dafür gesucht. Neben verbesserter Sicherheit und schnelleren Updates soll auch bei Crashes eine Reparatur blitzschnell vonstattengehen. Programme, Dateien und Apps werden vom Betriebssystem separat gespeichert und müssen nicht extra neu installiert bzw. zurückgespielt werden, ein hervorragender Ansatz.

PowerPoint unter Windows 10X

Wie viele andere Tester, lässt Windows X10 in der aktuellen Version auch mich etwas verwirrt zurück. Es wurde mehrfach aus dem Microsoft-Lager berichtet, dass man die Version als weitgehend fertig programmiert ansieht und schon überlegt, wie man alles strategisch am klügsten an den Start bringen könnte. Wenn dem so sein sollte, haben wir hier eine sicherlich technisch beeindruckende, doch vom Feature-Umfang eher überschaubare Windows-Version. Viele eingeschworene Windows-Nutzer dürften enttäuscht sein, sie auf ihrem Rechner zu finden. Sicher, alles geht schnell, ist durch sein Grundprinzip sicher, Apps und Surfen laufen wie am Schnürchen – doch das können Android und ChromeOS eben auch! Wer nicht mehr erwartet, kann hier durchaus glücklich werden. Auch kann ich es mir gut auf einem Tablet vorstellen, ebenso auf einem Handy – aber auf einem Laptop oder PC? Selbst Windows 10 Home, die kleinste Version des Betriebssystems, scheint mir im Vergleich üppig und variabel. Wenn Microsoft hier nicht noch überraschend einige Schippen drauf legt, tappt man in dieselbe Falle wie früher und Windows 10X wird schnell Geschichte und maximal zum Ideengeber für den großen Bruder Windows 10.

Bilder: Microsoft und Lenovo

Was mich interessieren würde: Möchten Sie ein solches Windows auf Ihrem Smartphone oder Tablet? Oder gar auf dem PC?

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