LIFE

Das nicht perfekte Foto – bald schon ein Relikt der Vergangenheit?

Sven Krumrey

Wenn Manager ins Plaudern geraten, erfährt man immer mal wieder Interessantes. Isaac Reynolds ist als Produktmanager bei Google der „Chef der Fotos“ und philosophierte über Gegenwart und Zukunft der digitalen Fotografie. Und während ich dachte, es ginge darum, noch die tiefste Nacht adäquat abzubilden oder das digitale Rauschen zu minimieren, gingen seine Gedanken in eine ganz andere Richtung. Die Abbildung der Realität werde nicht mehr die größte Priorität haben. Man möchte die Bilder so gestalten, wie es die Kunden erwarten – nicht, wie es Kameras mit all ihren technischen Einschränkungen erlauben. Mit einem Wandel von der Bildverarbeitung zur Bilderzeugung werde die akkurate Wiedergabe des Moments eher nebensächlich – doch ist das wirklich richtig so?

Ein perfektes Foto - aber sah es dort wirklich so aus?

Öffnet man heute ein Handy, um ein Selfie zu machen, erblickt man oft eine seltsam weiche Version seiner selbst auf dem Display, die Schönheitsfilter sind standardmäßig an. Die Himmel sind blauer, die Blumen bunter. Bereits das ist ein Entgegenkommen der Hersteller, die ihre Kunden begeistern wollen. Sie wollen bei Tests gut abschneiden, wo „strahlende Farben“ oft bessere Ergebnisse bekommen und bei Vergleichen nicht durch langweiligen Realismus enttäuschen. Sämtliche großen Produzenten bieten noch umfangreiche Nachbearbeitungsmöglichkeiten gleich auf dem Handy, um zum Strahlen zu bringen, was nicht festgehalten wurde oder schlicht nicht strahlte. Das kann jeder, dauert nicht lange und verändert die Standards und Erwartungen an ein Bild. Wer sich fragt, wie wichtig Handys denn im Fotobereich sein mögen: Im Jahr 2023 wurden etwa 92,5% aller Fotos mit Smartphones aufgenommen, Tendenz steigend. Und diese Fotos sehen heute anders aus als vor 5 Jahren.

Es gibt da ein wunderbares Beispiel bei Facebook. Eine Gruppe zeigt die schönen Seiten meiner Heimatstadt und postet dabei immer neue Variationen des Strandes. Bilder mit besonderer Lichtstimmung und beeindruckender Atmosphäre treffen auf große Begeisterung und bekommen viele Likes. Das Problem daran: Es ist alles nicht echt. Ich bin praktisch an diesem Strand aufgewachsen und kenne ihn zu jeder Jahres-, Tages- und Nachtzeit. Der Sonnenuntergang ist nie dermaßen farbig, das Meer schimmert nie so hypnotisch, das von Wind und Salzwasser gepeinigte Gras ist nicht so grün wie auf den Bildern. Man sieht also nicht den besten Fotografen, sondern eher eine Leistungsschau der Bildbearbeitung. Echte Bilder, die einen schönen Moment realistisch einfangen, wirken dagegen eher langweilig!

Zu viele Effekte, doch Klicks und Likes stimmen Zu viele Effekte, doch Klicks und Likes stimmen

Was mit Effekten beginnt, setzt sich bei Porträts und Gruppenfotos fort. Als in einer lokalen Tageszeitung das Bild einer mir persönlich bekannten Personengruppe erschien, war ich sehr dankbar über die Namensnennung in der Unterschrift. Das privat eingereichte Bild hatte die Damen Mitte 60 mittels Filter um knappe 15 Jahre verjüngt. Eine sehr nette ältere Dame, die in der Realität eher Miss Marple (gespielt von Margaret Rutherford) ähnelt, erkannte ich hingegen gar nicht. Auch ich werde gerne gebeten, auf Familienfotos Hand anzulegen, „damit die Leute gut aussehen“. Klar will man sich bei der Goldenen Hochzeit nicht mit Pickeln verewigt sehen und die Familie sollte trotz Sommerhitze nicht wie ein Backschinken glänzen, doch setze ich hier immer Grenzen. Man sollte sich erinnern, wie es war – nicht, wie es Hollywood gedreht hätte.

Mit der Verbreitung von KI-gestützter Bildbearbeitung wird nun für alle verfügbar, wofür man früher noch Photoshop-Experte sein und erheblich Zeit aufwenden musste. Mit ein paar Klicks verschwinden Falten, wird der Himmel strahlend blau und störende Touristen verschwinden aus dem Panorama. Klar sieht das alles irgendwie besser aus, aber es ist halt nicht wahr. Und je ferner ein Ereignis ist, desto mehr sind wir auf Fotos angewiesen. Unsere Erinnerung wäre dann aber verfälscht, wenn man alles auf perfekt stellt und die Bilder entsprechend verändert würden. Mit dem Foto verändert sich unsere Erinnerung. Hat ein Onkel z.B. sehr tiefliegende Augen, so ist es ein Teil von ihm, den man kennt, sollte man sie per Automatik schnell beseitigen? All das Unperfekte wäre fort und damit viel Charakter und kleine Details, die unseren Erinnerungen Leben einhauchen.

Ein Zeugnis seiner Zeit Ein Zeugnis seiner Zeit

Aktuelle Handys bereiten schon jetzt viele Fotos perfekt für Social Media wie Instagram vor – auch dort ist man an der Realität nicht interessiert. Ist man auf Santorini, müssen die Wände halt perfektes Weiß haben, Wasser und Himmel in so tiefem Blau sein, dass selbst das trübste Handy es im Nachtmodus wiedergibt! Macht man sein Geld damit, selbst auf einer Müllhalde dekorativ auszusehen, mag das ja noch Sinn ergeben, aber was ist mit uns Normalsterblichen? Müssen wir uns wirklich bei jedem Foto fragen, was daran noch echt ist? Einzig die Kunden werden entscheiden, welchen Weg die Hersteller hier gehen. Ich jedenfalls habe von unzähligen Fotos, die ich in Barcelona gemacht habe, einen klaren Favoriten. Vor der mächtigen Kirche „Sagrada Familia“ steht ein kleiner Esel, neben ihm ein kleiner Junge und sie mögen sich anscheinend sehr. Wie sie da vor diesem imposanten Bauwerk stehen, klein, beide etwas zottelig und im Schatten, sind sie einfach perfekt unperfekt.

Was mich interessieren würde: Bearbeiten Sie Ihre Bilder noch nach, auch wenn es dann vielleicht hübscher aussieht, als es wirklich war?

Zurück zur Übersicht

Kommentar schreiben

Bitte melden Sie sich an, um zu kommentieren.