LIFE

Was nun, Facebook?

Sven Krumrey

Ich mag Facebook ja. Man hält Kontakt zu netten Menschen, nimmt an deren Leben teil, trifft längst verschwunden geglaubte Schulkameraden und erfährt, was gerade in der Stadt los ist. Ja, es gibt auch peinliche Selbstdarsteller in grässlichen Posen, aber wenn wir alle ganz ehrlich sind: Eigentlich sind auch die ganz lustig. Problematisch wird es allerdings, wenn weniger nette Zeitgenossen Facebook nutzen, um gemeinsam gegen alles vorzugehen, was nicht in ihre Weltsicht passt. Damit sowas nicht passiert und kein virtueller Mob los zieht, hat Facebook seine Gemeinschaftsstandards. Dort steht drin, dass alle lieb und nett zueinander sein sollen und (ganz wichtig) dabei nicht zu viel nackte Haut zeigen sollen. Traurig ist nur, wenn das alles nicht klappt.

Das ist nur symbolisch. Könnte man aber machen.

Denn nett sind nicht alle zueinander. Gut, das ist eigentlich kein Problem, denn Streit kommt auch in den besten Familien vor – Hetzjagten und Aufrufe zu Gewalttaten jedoch nicht. Und genau das ist der Punkt, an dem es unappetitlich wird. Und ziemlich irre, jedenfalls für einen durchschnittlichen Europäer. Glauben Sie mir, ich versuche immer, kulturelle und religiöse Eigenheiten zu respektieren, aber manchmal schaffe ich es nicht so ganz. Denn was unerträglich ist, das scheinen wir und die US-Amerikaner von Facebook komplett anders zu empfinden. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber meine Angst vor Busen ist höchst überschaubar.

Die weibliche Brust ist mit das Erste, was wir in unserem Leben sehen und wenn man (als Mann) wirklich Glück hat, auch das Letzte. Umso verwunderlicher, dass der Anblick von Janet Jacksons kurzzeitig entblößtem Busen 2004 eine halbe Nation in Empörung, Panik und Trauma stürzte. Es ging um Klagen in Millionenhöhe, nun wird immer eine gewisse Verzögerung bei derartigen Übertragungen eingeplant, damit sich eine solch epochale Katastrophe nicht widerholen kann. Welcher Bürgerkrieg beim Zeigen gleich beider Brüste losgebrochen wäre – man mag es sich kaum ausmalen. Vielleicht würden wir heute nur noch ein Loch im Boden bestaunen können, wo vorher die USA waren.

Bitte keine Panik-Attacke bekommen

Anders ist es, wenn es um politische oder soziale Ansichten geht. Dort gönnen sich die Vereinigten Staaten die eine Meinungsfreiheit, die alle erdenklichen Extreme umfasst. Man ist der Meinung, dass eine gesunde Demokratie auch Menschen mit seltsamen Kapuzen, Hakenkreuzen oder ähnlichen Utensilien verkraften kann. Erst wenn diese Menschen dann wirklich „Hate Crimes“ begangen haben, treten die Strafverfolgungsbehörden in Aktion.

Ähnliches beobachten aufmerksame Zeitgenossen gerade auf Facebook. Meldet man nackte Tatsachen auf Facebook, so verschwinden sie meistens schnell von den Seiten. Bestens, ein Porno-Facebook wollte ich auch nicht, zudem lesen Minderjährige mit. Werden aber Beiträge gemeldet, die direkt zu Straftaten aufrufen, unverhohlen rassistisch, menschenverachtend oder sexistisch sind, passiert meistens etwas Seltsames: Nichts. Eigentlich ist das nicht ganz richtig, denn man bekommt etwas: Einen netten Textbaustein. Man habe sich das Posting angesehen, man sei ja auch total gegen Rassismus oder Gewalt, aber nein, einen Widerspruch zu den Gemeinschaftsstandards habe man nicht gesehen.

Yoga mit Facebook: Der Vogel Strauß

Verblüfft fragt man sich, weshalb ein Aufruf zu Mord und Hass nicht ausreicht. Hat Facebook einfach drei Studenten engagiert, die diese Meldung im Akkord verbreiten? Liest man sich durch, was gemeldet wird? Oder verlangt man eine gewisse Form („Hiermit bestätige ich, VORNAME NAME, dass ich dazu aufgerufen habe, Menschen zu hassen und / oder zu töten“), bevor man es löscht? Verlangt man eine notariell beglaubigte Unterschrift, dass man es wirklich ernst meint?

Damit schafft Facebook, was kaum gewollt sein dürfte: Einen beklemmend rechtsfreien Raum. Immerhin ohne Nackte, dafür mit Menschen ohne Menschlichkeit.

Dabei geht es nicht um widersprüchliche (politische) Meinungen oder kontroverse Diskussionen. Man kann Dinge komplett anders sehen, man kann sich streiten, man kann wegen der Dummheit des anderen in die Luft gehen, das ist uns allen schon passiert. Es geht um Hass, blank, bedrohlich und ansteckend. Wenn Menschen das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit abgesprochen wird, so überschreitet man damit eine Grenze. Es geht um jene, die vertreiben, ertränken, aufhängen, quälen, bedrohen oder zusammenschlagen wollen. Das dürfen wir nicht ignorieren – und Facebook auch nicht.

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