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Ein Oberklasse-Handy für 150 €? Abenteuer China-Handy

Sven Krumrey

Mein geliebtes Samsung S4 mini ist deutlich in die Jahre gekommen, die Knöpfe wackeln unschön, das Android ist gefühlt aus Kaisers Zeiten und der Akku schwächelt. Was tun? Jedenfalls nicht 600 € für ein Oberklasse-Handy ausgeben, mein Handy-Vertrag gibt auch nichts Subventioniertes her, also begebe ich mich in das sagenumwobene Land der China-Handys!

Das Wagnis: Diese Handys sind eigentlich nicht für den Westen gedacht und werden nicht offiziell vertrieben. Welche Nachteile das hat und weshalb ich mich leicht paranoid fühle, lesen Sie hier.

Viele viele bunte Handys

Nach einem Check des Geldbeutels (nein, das ist hier keine von Xiaomi gesponserte Werbung, ich habe es ganz normal gekauft), wälzte ich Test um Test. Um mich kurz zu fassen, ich war erschlagen von dem Angebot. Fernab der bewährten Marken tut sich ein wahrer Dschungel an hier unbekannten Firmen auf. Cubot, Doogee oder Elephone hatte ich vorher nie gehört, dennoch verkaufen diese Firmen Millionen Handys - jedoch vorwiegend in Asien. Irgendwann kam ich auf das XIAOMI RedMi Note 2 16GB. Das sagt Ihnen nichts? Mir auch nicht! Aber die technischen Daten und positiven Kritiken ließen mich wohlig erschaudern: 2 GB Arbeitsspeicher, ein Achtkern-Prozessor mit je 2 Gigahertz, das Display mit Full HD-Auflösung, eine vernünftige Kamera aus dem Hause Samsung, das klang schon gut! Und das für 150 € inklusive Lieferung?

Bei der Bestellung wird es schon spannend, denn die Importeure scheinen das Handy mit unterschiedlichen Versionen von Android auszustatten. Risiko! So gibt es wohl Versionen, wo nur Englisch in der Sprachauswahl möglich ist, bei mir wurde eine deutsche Beta-Version aufgespielt. Wer unzufrieden mit seiner Version ist, findet im Internet maßgeschneiderte ROMs (hier: Android-Betriebssysteme) und Anleitungen, wie man sie installieren kann. Beim Auspacken erwarten mich keine Überraschungen, ein Netzadapter, Micro-USB-Kabel und eine kurze Bedienungsanleitung sind Standard. Doch all das ist nur Nebensache, denn das Handy wartet!

Es erwartet mich eine Menge Technik: 5,5 Zoll Displaygröße sind schon nah am Tablet, das Gewicht ist mit 160 Gramm okay, der Eindruck ist grundsolide. Sauber verarbeitet, die Knöpfe sitzen, man kann sogar den Akku wechseln, klasse. 2 Micro-SIMs passen hinein, zudem kann man per SD-Karte den Speicher erweitern, so soll es sein. Startet man das gute Stück, geht die Kinnlade ein Stück herunter. Bin ich hier bei Apple? Des Rätsels Lösung: Das Betriebssystem ist eigentlich Android (leicht veraltet: 5.02), aber der Hersteller hat seine Eigenentwicklung MIUI darüber gestülpt. Das sieht verdammt nach IOS aus, läuft aber geschmeidig und bietet alle Features, die man von Android kennt und noch einige Optionen mehr. Um ehrlich zu sein: Fast zu viele Optionen. Man kann sich Ewigkeiten durch Untermenüs klicken, um wirklich jede Kleinigkeit einzustellen. Ein eigenes Sicherheits-Center ist ebenso dabei wie zahlreiche Möglichkeiten zum Energiesparen, da hat jemand mitgedacht. Vorsicht: Zieht man ein Icon auf den Mülleimer, so wird das Programm deinstalliert, nicht nur das Icon gelöscht.

Mein Handy schwebt leider nicht

Beeindruckend ist das Display, Full HD mit netten Farben, zudem alles läuft geschmeidig bis rasant, man merkt den Octacore (übrigens ein sehr fixer SoC MT6795 Helio X10) und größeren Arbeitsspeicher im Vergleich zu älteren Handys. Schade: Nicht alles wurde auf Deutsch übersetzt, ein paar englische Texte findet man noch. Zudem sind noch ein paar chinesische Apps drauf, die mir rein gar nichts sagen. Die deinstalliere ich mal fix und habe meine Ruhe. Dennoch bleibt ein leicht paranoides Gefühl zurück, denn einige der Systemdienste, die nicht entfernt werden können, tragen ihre chinesischen Namen. Gehen hier die letzten Prozent Privatsphäre, die man auf dem Handy hat, völlig verloren? Lesen jetzt gelangweilte Beamte aus Peking meine Einkaufsliste und schlagen gerade nach, was ein Tiroler Speckbrot ist? Sind die noch neugieriger als Google? Restzweifel bleiben.

Im Alltag kommt der wohl größte Nachteil zu tragen: Mobiles Highspeed Internet sieht in China anders aus. Ein bestimmtes LTE-Frequenzband (800 Mhz) wird nicht unterstützt, weil diese Frequenz dort nicht verwendet wird. Wer also eher ländlich wohnt oder wo die Sendetürme weit auseinander stehen, wird nicht den schnellsten Übertragungsstandard nutzen können. Leider ist das bei Handys, die eigentlich nicht für den Westen gedacht wurden, recht häufig. Schauen Sie also vorher, welche Frequenzen in ihrem Land(strich) genutzt werden, das Xiaomi kann z.B. 1800, 2100 und 2600 Megahertz. Damit bin ich im Stadtzentrum gut versorgt, sobald es in die Außenbezirke geht, ist Schluss mit LTE, sehr schade. Wer sich weitgehend von WLAN zu WLAN bewegt und nicht viel unterwegs surft, wird dies weniger bemerken.

Kommen wir zum Support oder besser: Es gibt keinen. Wenn man hinschreibt, so bekommt man herrliche Textbausteine, die leider nichts mit der eigentlichen Frage zu tun haben. Man scheint mich weder auf Deutsch, noch auf Englisch verstanden zu haben. Dafür verweist man auf ein firmeneigenes Forum, das mich aber auch nicht weiter bringt. Schade! Ein paar Durchläufe Google später: Es gibt durchaus Communitys in englischer und deutscher Sprache, die alle relevanten Fragen beantworten. Wenn ich dran denke, wie selten mir der Microsoft-Support helfen konnte- so besteht realistisch kaum ein Unterschied.

Mit guter Kamera und austauschbarem Akku

Sieht man von LTE ab, so gibt es wenig zu meckern. Der Akku reicht bei mäßigem Gebrauch für 2 Tage, schaltet man in den Optionen die Energiesparpläne ein, entsprechend mehr. Da ich mich nicht gerne durch viele Optionen wühle, installiere ich den Droid Optimizer und rette mich so auf minimal drei Tage. Die 13-Megapixel-Kamera bringt, was sie soll, fokussiert schnell und liefert nette Bilder ab. Bei schlechten Lichtverhältnissen beginnen die Fotos unschön zu rauschen, das kenne ich jedoch auch von vielen etablierten Marken. Wer gerne Selfies schießt, hat eine 5-Megapixel-Frontkamera zur Verfügung, die mich auch an einem Montagmorgen vernünftig aussehen lässt, Respekt! Crashes und ähnliche Ärgernisse sind bislang komplett ausgeblieben, alle Apps ließen sich problemlos installieren und nutzen. Auch anspruchsvollere Spiele laufen ohne Ruckler, mehrere parallel laufende Apps bringen das XIAOMI nicht zum Stottern.

Mein Fazit nach 4 Wochen Nutzung:Man bekommt ein stimmiges, aber kein perfektes Produkt und definitiv viel Technik für sein Geld. Die Vergleiche mit den Marktführern um 700 €, die durch das Internet geistern, sind natürlich Unsinn. Die Einschränkungen beim LTE-Empfang, die gute, aber nicht sensationelle Kamera und das z.T. gewöhnungsbedürftige Betriebssystem lassen dies nicht zu. Wer aber ein schnelles Handy mit guter Hardware für wenig Geld haben will, kann auch hier glücklich werden. Man kann nicht für einen VW Käfer bezahlen und einen Ferrari erwarten, aber ein tolles Preis-/Leistungsverhältnis ist allemal drin!

<strong>Anmerkung des Autors</strong>
Nachdem dieser Text geschrieben wurde, ist mir eines aufgefallen: Ich habe rein gar nichts über das Telefonieren geschrieben. Ja, das kann man auch - und das in guter Qualität und mit tadellosem Empfang. Man merkt, die Schwerpunkte für Handy-Nutzung ändern sich. 
Alle Bilder von [XIAOMI](http://www.mi.com/en/note2/)
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