LIFE

Eine dumme Idee geht um die Welt

Sven Krumrey

Das Wunderbare des Internets ist, dass stets aktuelle Informationen, Wissen und auch Unterhaltung für uns bereitstehen. Leider bleibt es nicht dabei, denn natürlich werden auch komplett denkbefreite Ideen verbreitet. Normalerweise wird dabei niemand verletzt, denn der Glaube an die Hohlerde, Echsenmenschen oder Bigfoot animieren niemanden, mordlüstern mit einem Hammer durch die Nacht zu streifen. Doch diese eine dumme Idee ist anders und zeigt uns einiges über das Internet, seine Wirkung – und Ronald McDonald.

In der Nacht sind wir schutzlos

Clowns sind nicht jedermanns Sache. Ich erinnere mich noch daran, wie ich als Kind selbst im Zirkus saß und misstrauisch die maskierten, seltsam fröhlichen Männer in der Manege betrachtete. Ich rang meinem Vater das Versprechen ab, diese Gestalten niemals für einen meiner Geburtstage zu buchen. Shakespeare sah es wohl ähnlich, so ließ er bei Hamlet Clowns als unheimliche Totengräber auftreten. Als Stephen King dann auch noch Mitte der 80er den Killer-Clown Pennywise auf die Menschheit losließ und mit John Wayne Gacy ein echter Serienmörder mit Clown-Fetisch auftauchte, ging es erstmals bergab mit den bemalten Spaßmachern. Das Krankheitsbild Coulrophobie (irrationale Angst vor Clowns) war schnell gefunden. Dennoch wurde es nicht zum Massenphänomen – denn es gab noch nicht das Internet!

Dort wurde aus einer Idee ein Hype (hier: Hysterie). 2014 wurde ich das erste Mal auf Killer-Clowns aufmerksam, ein kleiner Trend auf Youtube. Eine Prank-Truppe (Prank = Scherz) schnappte sich Kameras, kostümierte sich als Clowns und erschreckte nichtsahnende Passanten, die sich augenblicklich in einen Horror-Film versetzt fühlten. Das war ziemlich neu, schockierte und wurde von über 75 Millionen Menschen angesehen. Hier war es noch ein recht professionell aufgezogener Scherz, begeisterte Nachahmer und (zuletzt) schlicht geisteskranke Gestalten folgten nun. Denn mit dem Internet bekommt ein Phänomen Verbreitung, Story und Wettbewerb.

Nicht der Anblick, der bei einem Abendspaziergang erwünscht ist Nicht der Anblick, der bei einem Abendspaziergang erwünscht ist

Zuerst gab es einzelne Sichtungen, millionenfach auf Bilder-Portalen wie 9gag oder auf sozialen Netzwerken geteilt. Die erste Fan-Art (Zeichnungen, selbstgefertigte Masken) ließ nicht lange auf sich warten, ebenso wie urbane Mythen, welche komplette Storys und Lebensläufe zu den Killer-Clowns erdachten. Und – natürlich – ging der Wettbewerb los. Wer ist unheimlicher, lustiger oder einfach krasser? Es wurde auch international, aus dem Mutterland USA schwappte die Welle bis nach Chile, Australien, Irland und einem Dutzend weiterer Länder. Ob gestellt oder nicht, zahlreiche Fotos und Videos von schrecklichen, nächtlichen Begegnungen machten die Runde und ich wartete insgeheim auf die ersten Verletzten.

Der letzte Ritterschlag kam mit der unvermeidlichen Verschwörungstheorie. Von geheimen Clown-Bünden bis hin zum Extrem-Marketing für einen anstehenden Film war alles dabei. Mein Liebling: Die Clowns werden von der Regierung geschickt, um uns von Wichtigerem (US-Wahlkampf, Freihandelsabkommen, etc.) abzulenken. Ich stellte es mir bildlich vor, was sich in den Ämtern abspielen könnte: „Herr Karlsen, haben Sie den Vorgang 43/12 fertig? Gut, dann werfen Sie sich bitte in ihr Clown-Kostüm, um die Bürger von unseren finsteren Machenschaften abzulenken.“ „Och nö, nicht schon wieder Außendienst!“

Leider sind aus den Scherzen inzwischen echte Verbrechen geworden, denn der letzte, unvermeidliche Akt jedes Internet-Hypes ist der Auftritt der Idioten. Maskierte, die Schulkinder mit Messern um die Häuser jagen, verstehen den Sinn des Wortes „Scherz“ nicht wirklich. Einem schwedischen Clown reichte das Herumfuchteln mit einem Messer nicht mehr, er stach wirklich zu. Andere Clowns lassen sich nur mit Waffengewalt vertreiben oder werden beim Versuch, in Häuser einzubrechen, von Überwachungskameras gefilmt. Die Erkenntnis, dass man als Clown unerkannt andere Menschen terrorisieren oder gar Verbrechen verüben kann, ist bei den Idioten offensichtlich angekommen.

Hoffentlich ohne Messer hinter dem Rücken: Ronald McDonald Hoffentlich ohne Messer hinter dem Rücken: Ronald McDonald

Die Gegenreaktionen sind nicht weniger merkwürdig. Berufs-Clowns werden angefeindet und mit Müll beworfen, Polizisten warnen vor einer Verkleidung als Clown zu Halloween, um Panik und Gewalttaten zu vermeiden. Nächtliche Patrouillen besorgter Zeitgenossen gehen bewaffnet auf Streife, während spezielle Accounts auf Twitter aktuelle Sichtungen posten und zur fröhlichen Clownjagd aufrufen. Selbst das legendäre Maskottchen Ronald MacDonald wurde diesem Negativ-Trend geopfert und ist fürs Erste aus sämtlichen Werbe-Aktionen verschwunden. Ob es nur um fehlende Werbewirkung ging oder man wirklich fürchtete, verängstigte Eltern würden das Feuer eröffnen, bleibt offen.

Zuerst wollte ich diesen Trend auch einfach nicht beachten, doch zeigt er exemplarisch, wie im weltweiten Netz aus Langeweile, Übermut, aber auch aus niedrigen Beweggründen wie der Lust am Drangsalieren von Mitmenschen ein übler Hype entstehen kann. Oder um einen klugen Freund zu zitieren: „Internet, eigentlich bist Du toll, aber manchmal nervst Du einfach.“

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