Friedhelm, 73 Jahre, Vampirjäger der Dämmerwacht
Ist man im Bekanntenkreis als „Computer-Versteher“ bekannt, kommen die unvermeidlichen Fragen, manchmal echte Geständnisse. Ob man denn wisse, wie man den Surf-Verlauf löschen könne, man sei ja zufällig mal auf eine falsche Seite geraten? Für welches Alter eignet sich eigentlich die Dating-Plattform Tinder? Kürzlich aber horchte ich auf: Ein lieber Ex-Kollege, schon länger in Rente, suchte für sich eine potente Grafikkarte. Was er denn damit machen wolle? „Ich will damit Battlefield spielen.“ Oh. Das hatte ich nun nicht erwartet. Und es wurde noch weit interessanter.
Denn Kurt meuchelt sich nicht nur durch virtuelle Schützengräben. Er leitet auch eine kleine, private Gruppe für Spieler über 70 bei Facebook, die Grauen Gamer und lud mich netterweise ein. Eine halbe Stunde später wusste ich - diese Facebook-Gruppe hat es in sich! Hier werden Spiele kenntnisreich besprochen, Hardware-Tipps gegeben und Lösungen bei technischen Problemen ausgetauscht. Man hat keine Lust, sich irgendwie „altersgemäß“ zu verhalten – klasse. Und so unterscheidet sich die Gruppe eigentlich nur in zwei Punkten von anderen: Man erkennt zuweilen die Tücken des Alters (manchmal ist das Spiel zu schnell, die Grafiken zu klein) und eine gewisse Isolation, denn nur sehr wenige in ihrem Freundeskreis spielen. Das ändert jedoch nichts an dem Enthusiasmus, der mir entgegenschlägt.
Friedhelm kennt jede Ecke von Himmelsrand, das Rollenspiel Skyrim ist seine Welt, über 600 Stunden hat er schon dort verbracht. Speziell seitdem seine „Hüfte nicht mehr so will“, erkundet er jede Höhle und hat sich so schon zum Experten gemausert, der anderen Spielern in Foren Tipps gibt und Walkthroughs (Komplettlösung zum Nachspielen) schreibt. Als Ex-Bauunternehmer stört ihn, wie simpel der Hausbau in dem Spiel geregelt ist, hier hätte er ganz anderes Potential gesehen, den Rest hält er für ein Meisterwerk. 1972 las Friedhelm „Der Herr der Ringe“ mit Begeisterung und hatte seitdem den Wunsch, ähnliche Welten durchstreifen zu können. Als er Screenshots von Skyrim in einer Zeitschrift sah, war es um ihn geschehen. Zwei Monate und ca. 1000 € später begannen seine ersten, unsicheren Schritte durch künstliche Welten, bevor schnell Routine einkehrte. Seine Freunde bewundern ihn inzwischen für den sicheren Umgang mit dem Thema, bestaunen bei Besuchen die Schönheit des Spiels, trauen sich aber selbst nicht dran. Schade!
Doch nicht immer stößt die Begeisterung auf Verständnis. Robert spielt nicht GTA (Grand Theft Auto), wenn seine Frau in Hörweite ist. Eine Stadt voller Gewalt, voller Laster und e in Gatte, der mit Pumpgun Banken überfällt, sind schlicht zu viel für sie. Und so wissen nur seine Enkel von seiner Leidenschaft, für die Ehefrau werden seriöse Spiele präsentiert, die „ja auch ganz nett sind“. Ist jedoch seine Frau beim Chor, werden wieder Kurierfahrten erledigt, Drogenbosse beraubt oder atemberaubende Stunts vollführt. So fiebert er schon GTA 6 entgegen und wird es sich am Erscheinungstag kaufen, ohne die Kritiken zu lesen. „Es lohnt sich halt immer!“ Unter Gleichaltrigen seien Spiele nur selten Thema, „bei den meisten hört es mit Solitaire auf“, wie er mir leicht enttäuscht per Chat schreibt. Da bleibt nur das Fachsimpeln mit den Enkeln, wenn sonst keiner zuhört.
Wenn man Werners Beiträge liest, wird schnell klar – hier ist Fußball König. Nicht nur, dass sein Profil gepflastert mit allen möglichen Bayern München-Referenzen ist, seine große Spiele-Liebe ist Fifa. Hier folgt er treu jeder Version seit 1996, ärgert sich über jede Änderung („Der Übersteiger funktioniert nicht mehr!“), und berauscht sich an der Schönheit des Spiels. Selbst wenn die echte Mannschaft gerade in einer Form-Krise sein mag, Werner wird es daheim richten. Stolz schickt er mir ein Foto seiner „Spiele-Bude“ stilecht mit Fan-Schal, gigantischem Bildschirm und einer Sammlung von mächtig verschlissenen Controllern. Bei ihm ist das Zocken Familiensache, bis zu drei Generationen tummeln sich in seiner Dachkammer und führen seine Mannschaft zu immer neuen Erfolgen.
Gone Home - auf den Spuren einer tragischen Familiengeschichte
Eine einzige Frau ist ebenfalls in der Gruppe, Gisela, Kurts Gattin. Bei ihr steht keine Action im Vordergrund, sie spielt das wahre Leben nach, gepaart mit einem Hauch Mystery. Spiele wie Gone Home, bei denen man auf den Spuren eines schweren Schicksals wandelt oder Life is Strange, wo eine Schülerin mit besonderen Fähigkeiten das Verschwinden einer Mitschülerin lösen muss, sind ihre Welt. Schöne Grafiken, eine packende Story, nicht zu viel Gewalt und Gisela ist dabei. Dass sie dabei auf den Spuren amerikanischer Teenager wandelt, stört sie nicht. „Menschen sind Menschen, die Probleme bleiben, das ändert sich nie.“ Und so wird sie wohl, bis die Zeit für die Garten-Arbeit beginnt, entspannte Stunden mit meinem Tipp Firewatch verbringen, wo ein melancholischer Parkwächter Rätsel löst, die wunderbare Landschaft bewundert und dabei mehr über das Leben lernt. Ehemann Kurt würde vor Langeweile umkommen, versorgt aber seine Liebste dennoch mit Hardware und Spiele-Tipps. Eine Ehe ist halt gelebte Toleranz.
Als nächstes Projekt ist das gemeinsame Online-Spielen geplant. Kein leichtes Projekt! Es hapert nicht an der Technik, man kann sich einfach auf kein Spiel einigen. Zwischen betagten Schwertkämpfern, Fußball-Fanatikern seit 1950 und überzeugten Weltraum-Ballerspielern ist offensichtlich nicht leicht zu vermitteln. Und als ich die Gruppe verließ (noch gehöre ich dort nicht hin!), war ich sehr angetan von der Hingabe und Begeisterung, mit der hier gespielt wird. Nicht von Menschen, die sonst kein Leben haben (so wäre das Klischee), sie spielen als Ergänzung zu einem Leben mit Hobbys und Familie. Es sei doch allemal spannender und aktiver, als nur vor dem Fernseher zu hocken, so der Grundtenor. Stimmt! Vielleicht werde ich später in Rente auch ein Friedhelm. Man wird doch nie zu alt, um Spaß zu haben, oder?
Was mich interessieren würde: Gibt es bei Ihnen in den reiferen Jahrgängen auch Spieler? Oder habe ich mit meiner Gruppe liebenswerte Exoten ihrer Generation gefunden?
Wichtig: Diese netten Leute haben keine Lust, von Trollen oder Privatsendern auf Themensuche überrollt zu werden, was ich absolut verstehen kann. Insofern: Alle Namen geändert, auch den der Facebook-Gruppe.
Bild 3: Gone Home, The Fullbright Company