Die Rückkehr des Aschenputtels
Was haben sich die Macher von AMD-Prozessoren alles anhören müssen. Zu langsam, zu heiß, zu altmodisch seien Ihre Produkte. AMD-Nutzer berichteten scherzhaft davon, sie bräuchten selbst im Winter keinen Ofen, wenn der Rechner liefe und schwärmten sarkastisch von ihrer Fußbodenheizung. Low Budget-Rechner hatten standardmäßig AMD-CPUs, sie waren halt die zweite Wahl für den kleinen Geldbeutel. Vergleiche zur Energie-Effizienz von alten Kohlekraftwerken kamen auf, die Namensgebung (AMD Bulldozer? Man plädierte für Bobby Car) wurde verspottet. Konkurrenz zu Intel? Nicht wirklich. Doch plötzlich dreht sich der Wind – und der Grund dafür heißt Ryzen.
Medienvertreter zeigten sich zuletzt verwundert. Intel verschickte Mails an sie und bat darin, sich doch mal mit ihnen in Verbindung zu setzen, bevor sie über das neue AMD-Flaggschiff schrieben. Was auch immer intern gelaufen ist, man merkte – da wird jemand nervös. Verständlich, denn die letzten Jahre waren bequem für Intel, man entwickelte in aller Ruhe weiter, die Leistung wurden von Prozessor zu Prozessor moderat hochgeschraubt und man sah AMD im Rückspiegel nur ferne am Horizont, so lässt es sich als Marktführer leben. Diese Preise waren stattlich, mangels Konkurrenz konnte man es sich schlicht erlauben. Zuletzt mehren sich aber Testergebnisse, dass AMD nicht nur an der Stoßstange Intels hängt, sondern elegant vorüberzieht.
Ryzen (ein Wortspiel aus Horizon[t] und Zen) soll, so mehren sich die Anzeichen, ein ganz großer Wurf sein. AMD Benchmarks (Leistungs-Tests) sehen ihr Produkt deutlich vorne, natürlich genießt man ein solches „Eigenlob“ mit Vorsicht. Firmen publizieren generell nur die Tests, die sie gut aussehen lassen. Als jüngst aber ein chinesisches Team den AMD Ryzen 7 1700X mit einem Intel Core i7 6800K verglich, wurde es wirklich spannend. Beide Prozessoren kosten ungefähr gleich viel (ca. 430 €), der AMD hat acht Kerne, der Intel hingegen sechs. Ohne Sie mit Details zu langweilen, Ryzen lag bei 37 Tests 30-mal vorne, war er unterlegen, dann meistens nur knapp. Da ich Hysterie ablehne: AMD hat damit Intel nicht „in den Boden gestampft“ (wie anderswo zu lesen war), sondern endlich ein höchst konkurrenzfähiges Produkt auf den Markt gebracht. Sogar der Stromverbrauch, lange Sorgenkind bei AMD, ist durchaus manierlich und lag im Vergleich sogar unter dem Intel-Konkurrenten.
Die Presse ist euphorisch, schon bevor sie selbst Hand anlegen und testen darf, zu lange hat sie auf einen Konkurrenzkampf dieser Art gewartet. Und auch für uns als Käufer dürfte es sich lohnen, denn Intel dürfte diese Schmach nicht lange auf sich sitzen lassen. Ob sie, wie Gerüchte besagen, die Preise für einige Prozessoren senken oder doch mit neuen Modellen kontern, wird man sehen. Insider vermelden schon einen Gegenschlag von Intel mit einer fulminanten Zwölfkern Skylake-X-CPU, die wieder klar die Spitze übernehmen würde – bestätigt wurde jedoch nichts. Und so steigen die Vorbestellungen für Ryzen schon vor der Veröffentlichung auf Rekordzahlen, die ersten Shops melden bereits ausverkauft. Ich würde Ihnen hingegen erst mal empfehlen, abzuwarten. Unabhängige Tests fehlen noch, die kostengünstigeren Vier- oder Sechskern-Prozessoren (geschätzt zwischen 200 und 300 €) sind noch in der Mache und dürften den meisten Nutzern in ihrer Leistung allemal reichen.
Leichte Verwirrung herrscht auch noch um Ryzen und ältere Windows-Systeme. Nachdem es von AMD ursprünglich hieß, neben Windows 10 auch Windows 7 und 8.1 zu unterstützen, machte das Unternehmen einen Rückzieher. „Kein offizieller Support“ heißt in diesem Fall, dass AMD nicht dafür bürgen mag, dass alles funktioniert und der Prozessor seine volle Leistung entwickeln kann. Ob man hier, wie oft geschehen, Microsoft die Schuld in die Schuhe schieben kann, weil sie diese Windows-Versionen schlicht nicht für neue Prozessoren weiterentwickelten, ist wohl Ansichtssache. Ich lehne mich jedenfalls entspannt zurück, freue mich auf die Tests und über die Tatsache, dass es endlich wieder spannend wird im Land der Prozessoren.
Kleine Anmerkung: Falls Ihre Kommentare erst am Montag freigegeben werden, sehen Sie es mir bitte nach. Es ist möglich, dass ich dieses Wochenende weitgehend ohne Arbeit und Internet verbringe - auch wenn mir das niemand in der Firma glaubt.