Wie viel Überwachung darf es für Ihr Auto sein?
Bei manchen Nachrichten explodiert das Internet förmlich und Fronten stehen sich unversöhnlich gegenüber. Als kürzlich die Nachricht kam, ab sofort müsse in allen europäischen Neumodellen das Notfallsystem „eCall“ eingebaut werden, war es mal wieder so weit. Während für die einen schon George Orwells „1984“ drohte, argumentierten andere mit schneller Hilfe und weniger Verkehrstoten. Und während hier noch diskutiert wird, fallen in Dubai gleich sämtliche Schranken des Datenschutzes. Doch was ist wirklich sinnvoll, wo beginnt der totale Überwachungsstaat? Wird zukünftig jedes Auto in Sekunden zu orten sein?
Jeder Verkehrstote ist eine Tragödie, darüber muss nicht diskutiert werden. Neben immer besseren Bremssystemen, Stabilitätsprogrammen und Sicherheitsassistenten der Autos soll nun eine weitere Komponente hinzukommen: die Vernetzung. Dafür hat die Europäische Union nun Fakten geschaffen. Meldesysteme, wie sie z.B. bei aktuellen BMW-Fahrzeugen Standard sind, werden für Neumodelle zukünftig Pflicht. Und das funktioniert dann so: Melden die Sensoren eines Autos einen Unfall, informiert das Notfallsysteme die Rettungskräfte. Je nach Modell können sogar die mitfahrenden Insassen und die Umstände des Unfalls (Zustand der Karosserie, Druckverhältnisse, etc.) übermittelt werden. Die Notrufzentrale versucht nun, einen Kontakt zum Fahrer herzustellen.
Meldet sich der Fahrer nicht, werden per GPS die exakte Position des Unfallwagens übermittelt und die Rettungskräfte losgeschickt. Experten gehen davon aus, dass so in der EU zwischen 1500 und 2500 Menschenleben jährlich gerettet werden können – eine beeindruckende Zahl. Zeitgleich werden aber Stimmen laut, jedes Auto werde fortan mit einer Wanze an Bord unterwegs sein, für Datenschützer und alle Freidenker ein gruseliges Szenario. Zudem kann theoretisch auch jederzeit das Mikro aktiviert werden – technisch wäre ein Lauschangriff also möglich. Auch exakte Bewegungsprofile einzelner Fahrzeuge wären keine große Herausforderung. Gegen dieses Szenario gibt es natürlich gleich eine EU-Verordnung, die bereits 2015 beschlossen wurde. Nein, man dürfe Fahrzeuge nicht verfolgen, selbst der Datensatz, der im Notfall übersendet werde, dürfe nur Mindestinformationen enthalten. Das klingt erst mal beruhigend, doch bleibt (zumindest bei vielen) große Skepsis. Werden die Staaten und ihre Geheimdienste wirklich die Finger von einem so mächtigen Überwachungssystem lassen können? Man darf es bezweifeln!
Schon heute in Dubai: Alle Auto-Daten im Netz
Auf einen ganz anderen Level hebt das Thema aktuell Dubai. Dort werden „smarte“ KfZ-Kennzeichen getestet – und die haben es in sich! Wo früher eine simple Metallplakette war, steckt heute moderne Technik. Wie beim „eCall“ kann auch hier im Fall eines Unfalls Alarm geschlagen werden, doch das ist nur ein Teil der Funktionalität. Die Nummernschilder sind mit einer Kontrollplattform der Verkehrsbehörden vernetzt und werden konstant geortet. Damit kann jederzeit die genaue Verkehrslage ermittelt und entsprechend reagiert werden. Dort ist auch das Kennzeichen mit dem Besitzer verknüpft, was dem Staat viele schöne Möglichkeiten zur Datensammlung verschafft. Egal, ob Gebühren oder Strafen, alles ist in einem Datensatz vereint. Auch das Auto selbst wird transparenter, denn ob es z.B. schon mal einen Unfall hatte, wird nun nachvollziehbar sein.
Bietet schon der Test solche Möglichkeiten, fragt man sich natürlich, wie es dort (und anderswo) weitergehen mag. Mit der nötigen Rechenpower könnte man sämtliche Verkehrsteilnehmer komplett analysieren. Wer fährt zu schnell, wer steht im Parkverbot, wer begeht Unfallflucht? Es ginge dann ganz einfach: Wer 90 km/h in einer Siebzigerzone fährt, wird gleich online erfasst, das Bußgeld wird vom Konto abgezogen. Vielleicht erhält man noch eine gestrenge Mail von den Behörden, dass man in Zukunft besser aufpassen solle. Ich bin ehrlich überzeugt davon, dass man damit Verkehrsvergehen minimieren und bestimmt auch manchen Verkehrstoten verhindern könnte, doch um welchen Preis?
Mir würde es weniger gefallen, bei jeder Autofahrt ein Punkt auf dem Bildschirm zu sein, den man jederzeit verfolgen kann. Und das nicht, weil ich ein schlimmer Raser wäre (seit 1992 Führerschein, kein Ticket, kein Punkt in Flensburg), sondern weil es schlicht niemanden etwas angeht, wo ich gerade unterwegs bin! Es gilt immer noch die Unschuldsvermutung, ich möchte nicht als unbescholtener Bürger standardmäßig überwacht werden, ganz einfach. Zudem ist eines schon sicher: Sobald die Technik Standard ist, wird sie geknackt, manipuliert und missbraucht. Auf der anderen Seite darf man niemals vergessen, aus welcher Motivation die Technik entstand: Es könnten viele Verkehrstote verhindert werden, Retter könnten schneller am Ort sein, um uns, unsere Freunde und Verwandten zu retten. Die neue Technik rundheraus abzulehnen, dürfte diesem komplexen Thema auch nicht gerecht werden.
Daher meine schwierige Frage an Sie: Sollen wir den Weg der Sicherheit gehen, auch wenn dadurch die Gefahr zunehmender Überwachung besteht?