LIFE

„Wo läuft die Serie?“ „Auf einem mir unbekannten Kanal in einem anderen Land.“

Sven Krumrey

Kürzlich saßen wir in kleiner Runde und unterhielten uns über wilde Zeiten. Als das Internet noch jung war, gab es an jeder Ecke unsägliche Raubkopien aktueller Kinofilme. Jemand hatte sich mit einer Kamera in ein Kino gesetzt und alles abgefilmt, man hörte das Tuscheln der anderen Zuschauer und die Bildqualität war unter aller Kanone! Wie konnte man sich das antun? Als mit Streaming eine bezahlbare Alternative kam, wurde es allgemein ruhiger um diese sog. "Tauschbörsen". Für einen fairen Preis hatte man via Streaming ein solides Angebot an Filmen oder Musik und die meisten waren zufrieden. Seit einiger Zeit jedoch scheinen die illegalen Angebote wieder beliebter zu werden – und viele sehen hier bei den Anbietern eine Mitschuld!

Eine riesige Auswahl von Streaming Kanälen

Als erklärter Fan der Videotheken (RIP!) stand ich Streaming-Anbietern anfangs reserviert gegenüber. Reichte meine Internetleitung überhaupt für eine gute Bildqualität ohne Aussetzer? Lohnte sich ein monatlicher Betrag, um eine gute, aber halt nicht umfassende Auswahl zu bekommen? Wie lange würde es dauern, bis Kinofilme im Pantoffelkino zu sehen sind? Wie lange würden Filme dort überhaupt im Angebot bleiben und wofür zahle ich eigentlich, wenn mir nichts wirklich gehört? Viele Bedenken zerstreuten sich, ich behielt meine wenigen Abos und war weitgehend zufrieden. Natürlich blieb der Erfolg der Streaming-Pioniere wie Netflix oder Amazon Prime nicht unbemerkt und ganz langsam begann eine unschöne Entwicklung.

Denn mit steigenden Kundenzahlen wurden Begehrlichkeiten geweckt – zum Nachteil der Zuschauer. Und irgendwie geht wieder alles von vorne los. Vor gefühlten Äonen vor dem Internet entstand eine unsichtbare Kluft auf den Schulhöfen – die Lücke klaffte zwischen den Kindern mit Kabelfernsehen und denen ohne. Wer keinen Kabelanschluss hatte, konnte nicht mitreden, wenn über neue „coole“ Serien und Filme gesprochen wurde. Heute sind viele Serien und Filme wieder nur ein paar Auserwählten bekannt, denn es gibt einfach immer mehr und mehr Anbieter! Es war klar, dass die zunehmende Abkehr vom linearen Fernsehen und Streaming als Massenphänomen viele Firmen motiviert bis gierig machen würde. Beobachter des Marktes hofften, man sei schlau genug, um eine Fragmentierung des Marktes zu verhindern – falsch gedacht!

Bekommen die Piraten neuen Zulauf? Bekommen die Piraten neuen Zulauf?

Und so tummeln sich – je nach Land variierend – schon jetzt zahlreiche Streaming-Anbieter auf dem Markt, die ihre Kunden mit jeweils exklusiven Inhalten bei der Stange halten wollen. Entertainment-Giganten wie Netflix geben Milliarden für ihre Serien aus, Amazon Primes „Der Herr der Ringe“-Serie lässt manchen Hollywood-Film im Vergleich wie Lokalfernsehen erscheinen. Die Jagd nach exklusiven Inhalten (und damit nach Abonnenten) kann jedoch zum Problem werden. Irgendwann gibt es einfach so viele Anbieter und Serien, dass man mit dem Gucken kaum noch hinterherkommt. Und langsam scheint die kritische Masse erreicht, sogar auf einem vergleichsweise „kleinen“ Markt wie Deutschland. Schon jetzt sind mehr als ein Dutzend Anbieter am Markt, die unterschiedlichste Inhalte an die Konsumenten bringen wollen. Die Mediatheken der TV-Sender bringen zusätzliche, oftmals kostenfreie (oder werbefinanzierte) Alternativen. Dazu kommen bald noch NBCUniversal, Viacom und Paramount+ hinzu, bei Prime sprießen immer neue Kleinstkanäle wie Pilze aus dem Boden.

Dass Sportfans dazu noch separat auf mehreren Kanäle abkassiert werden, kommt erschwerend hinzu. Doch wer will all das bezahlen? Überschlage ich mal locker, was mich theoretisch so alles interessieren würde und zähle es mit meinen aktuellen Streaming-, Zeitschriften- und Musik-Abos zusammen, komme ich locker über 200€. Wer will (und kann!) so viel für etwas abendliche Entspannung ausgeben und das jeden Monat? Dazu kommen noch ganz praktische Probleme: Auf welchen Anbietern sind der Film X und die Serie Y überhaupt zu finden? So schlug mir ein früherer Studienkollege aus San Diego kürzlich eine gute US-Serie vor. Nach gewisser Recherche stand fest: Die hiesigen Anbieter verhandeln wegen steigender Kosten noch um die Senderechte, man könnte auch sagen, viele Hunde streiten sich um einen großen Knochen. Hat man die Rechte endlich, muss man für die jeweiligen Sprachräume noch die begehrten (weil raren) Synchronisationen organisieren. Bis das alles geregelt ist, müsste ich für die gesuchte Serie ein Abo mit einem ausländischen Anbieter abschließen, den ich von Deutschland aus eigentlich gar nicht sehen dürfte und es mittels VPN zusätzlich verschleiern. Gar keine gute Alternative!

Neben dem Kostenaufwand wird auch der zeitliche Faktor immer entscheidender. War es früher schon zeitaufwendig genug, zur Inspiration durch das Angebot zweier Streamer zu schauen, müsste man bei 5 oder mehr Anbietern schon eine gute Stunde mitbringen, das ist nicht mehr praktikabel. Die ersten Streaming-Programmzeitschriften versuchen, Ordnung in das zunehmende Chaos zu bringen, können aber bei dauernd wechselnden Angeboten mit Hunderten neuen Filmen und Serien nur ein paar Highlights präsentieren. Und inmitten dieses boomenden Marktes haben viele Kunden einfach genug und gehen zurück auf die illegalen Varianten, weil sie weder Zeit, noch Geld für so ein zersplittertes Angebot haben oder über GEO-IP geblockte Inhalte nicht akzeptieren wollen. Der Gedanke, dass ein Anbieter in einem Land viele interessante Inhalte bietet, die in einem anderen nicht verfügbar sind, schmeckt halt nicht jedem!

Leichte Überforderung bei der Filmsuche

Auch technisch kann es komplizierter werden: Haben die neuen Anbieter überhaupt Apps für den eigenen Smart TV oder den Media Player? Und wenn ja, wie gut funktionieren sie, wie gut harmoniert z.B. die heimische Fernbedienung? Nicht jeder mag über den Browser schauen oder z.B. über Chromecast streamen! Und selbst wenn alles läuft: Wer hat wirklich Zeit und Muße genug, um all diese Angebote auch nur halbwegs auszunutzen? Selbst bei einigen Entertainment-Enthusiasten im Freundeskreis verschwindet langsam die ewige Furcht, etwas verpassen zu können. Genau das ist aber der Treibstoff für immer neue Abos! Und so habe ich langsam das Gefühl, dass vor unseren Augen eine eigentlich interessante Entwicklung gegen die Wand gefahren wird. Wenn jeder sein eigenes Süppchen kocht und es für die Zuschauer zunehmend frustrierend, teuer und überfordernd wird, kann es für viele Anbieter nicht gut enden!

Was mich interessieren würde: Wie sehen Sie die Entwicklung? Können Sie sich 5 oder mehr Abos wirklich vorstellen? Oder beschränken Sie sich weiterhin auf das gute alte Fernsehen?

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