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Die Handy-Kamera bleibt an!

Judd Heape, Vizepräsident des Produktmanagments bei Qualcomm Technologies, lächelte sich tapfer durch die neuen „Always on“-Kamerafunktionen des neuen Snapdragon 8 Gen 1 Prozessors. „Die Frontkamera Ihres Telefons sucht immer nach Ihrem Gesicht, sogar wenn Sie es nicht berühren oder aufheben, um es zu wecken.“ Das (und mehr) sollen die neuen Prozessoren leisten, die bald in Android-Handys der Oberklasse landen. Aber wieso soll eine Kamera immer an sein und wie sieht es dann mit der Privatsphäre aus? Oder allgemeiner gefragt: Kann man eigentlich alles mit irgendeiner Komfort-Funktion begründen? Und bin ich überempfindlich, wenn ich das ziemlich befremdlich finde?

Wenn neue Features für Irritationen sorgen

Qualcomm meint natürlich, dafür sehr gute Gründe zu haben und argumentiert sogar mit einem Sicherheitsgewinn: Stellen Sie sich vor, auf dem Display Ihres Handys sind vertrauliche Mitteilungen. Wie wäre es, wenn Ihnen jemand dabei über die Schulter schaut, während Sie etwas Privates lesen? Dank der neuen Funktion soll das Handy den Bildschirm in diesen Fällen automatisch sperren oder sensible Informationen ausblenden. Das Hauptargument ist jedoch der gewonnene Bedienkomfort: Stellen Sie sich vor, sie haben gerade Teig an den Händen und möchten dennoch einen Blick ins Rezept auf dem Handy werfen. Oder wie wäre es, ein Handy einfach zu aktivieren, ohne es vom Tisch aufzuheben? Würde das nicht auch im Auto einiges erleichtern? Das Handy könnte sich anschalten und z.B. eine Karte zeigen, sobald es registriert, dass Sie es ansehen! Soweit argumentierte Qualcomm höchst selbstbewusst und ich hatte ernsthaft Probleme, meinen Puls wieder auf Normalwerte zu bekommen.

So klar wie selten schienen mir die Marketing-Sprüche ins Leere zu laufen. Sicher, in all diesen Momenten wäre es recht praktisch, das Handy ohne Berührung oder auch nur Sprachbefehl zu aktivieren. Auch kann ich mir vorstellen, dass Menschen mit Handicap über dieses Feature glücklich wären. Aber reicht das wirklich aus, um für alle diesen Albtraum für jeden Datenschützer zu rechtfertigen? Ist Komfort wirklich alles? Sicher, schon immer haben Google und Co Daten gesammelt, um uns die Nutzung komfortabler zu machen. Dass man im Gegenzug dabei äußerst exakte Benutzerprofile erstellt und die Daten verkauft oder selbst nutzt, wird von den meisten dabei schulterzuckend in Kauf genommen. Doch wie will man uns eine ständig filmende Kamera schmackhaft machen?

Hacker weltweit berufen schon die Reservisten ein

Wie zu erwarten, beschwichtigt Qualcomm mit Parallelen zu den ständig lauschenden Mikrofonen, die auf „Ok Google“ oder „Hey Siri“ warten. Dabei vergessen sie aber, dass diese Funktionen bei zahlreichen Nutzern immer noch umstritten sind (viele deaktivieren sie ohnehin) – und diese Geräte ohne bestimmte Aktivierungs-Worte gar nicht aufwachen. Zusätzlich hat sogar Google (nicht gerade der Datenschutz-Papst) bei seinen Nest-Geräten extra sehr präsente Knöpfe und Lichtsignale spendiert, um Mikros zu deaktivieren und dies auch deutlich anzuzeigen! Aber laut Qualcomm macht es Ihr Handy sogar sicherer, denn die neugierigen Blicke anderer kann man ja ausschließen! Es fragt sich natürlich, ob man die neugierigen Blicke des eigenen Handys prinzipiell besser finden muss. Welche Funktion rechtfertigt es, eine konstant aktivierte Kamera im Handy zu haben? Dafür müsste man mir ein unverschämt gutes Angebot machen!

Und überhaupt: Wie ist es mit anderen Geräten wie Sicherheitskameras oder Videotürklingeln? Die laufen auch dauernd und filmen unser Heim! Der Vergleich hinkt, denn die Geräte tragen wir nicht in unserem Leben herum, sie sind nicht mit künstlicher Intelligenz und unseren persönlichen Daten vollgestopft. Wir kaufen diese Kameras zu exakt diesem Zweck, richten sie aus und konfigurieren sie genau -ein Handy ist hingegen immer dabei und wird irgendwie in Griffweite abgelegt. Eine dauerhaft aktivierte Handy-Kamera würde so jeden Rahmen und Vergleich sprengen. Wie schon Apple bei seinem höchst umstrittenen Scan argumentiert auch Qualcomm, die Informationen würden nicht das Gerät verlassen, die Software arbeite nur lokal. Ohne Qualcomm zu nahe treten zu wollen – spätestens ein paar energische Anrufe durch mächtige Geheimdienste würden das ändern. Besteht eine solche Möglichkeit technisch, kann auch kein Missbrauch durch Dritte kategorisch ausgeschlossen werden. Wäre es nicht für jeden Schreiber von Malware der Jackpot, dauerhaften Zugriff auf eine solche Cam zu ergattern?

Die Navigation anzeigen, sobald Sie hinsehen? Möchten Sie die Navigation nur anzeigen lassen, wenn Sie wirklich hinsehen?

Ziad Asghar, ein weiterer Firmen-Manager, versprach immerhin den Nutzern die Wahl, ob man diese Funktion ganz, teilweise oder gar nicht nutzen wolle, wie großzügig! Im gleichen Atemzug wurde jedoch darauf verwiesen, man könne mit deaktivierter Kamera natürlich nicht die volle Funktionalität und Leistungsfähigkeit des Chips erfahren. Ein trauriges Schicksal, welches mir da wohl bevorsteht! Danach musste ich mir erstmal einen Tee machen und nachdenken. Natürlich müssen die Handy-Hersteller (Qualcomm ist nur Zulieferer) diese Funktion nicht mal auf Hardware-Ebene aktivieren. Wenn z.B. Samsung hier gesunden Menschenverstand beweist, ist bereits auf unterster technischer Ebene Schluss mit der stets aktivierten Kamera, die immer nach Gesichtern scannt. Dann kann auch keine später installierte Software mehr auf diese Funktion zugreifen und man hätte dem Spuk ein Ende gemacht. Doch spätestens in Ländern, wo die systematische Überwachung rigoros durchgesetzt wird, dürfte diese Technik mit offenen Armen empfangen werden!

Der Gedanke, seine Handy-Cam mit einem Klebestreifen abzukleben, dürfte zukünftig manchen durch den Kopf gehen. Qualcomm geht hier einen höchst diskussionswürdigen Schritt und ich bin mehr als gespannt, wie Handy-Produzenten und Kunden auf diese Entwicklung reagieren werden. Meine Meinung dazu dürfte Ihnen inzwischen bekannt sein – doch was denken Sie? Würden Sie diese Funktion nutzen? Ist sie einfach so praktisch, dass man die Kamera halt immer filmen lässt?

42 Kommentare
Seite 2 von 2
  • G

    Ich gehöre zu den Leuten, die Ihrem Smartphone (bzw. in meinem Falle Google) weitgehende Rechte einräumen. Zum Beispiel darf mein Handy auf die Aktivierungsworte für den Assistenten lauschen und meinen Standort erfahren. Nur so sind eben bestimmte Komfortfunktionen möglich, die für mich wertvoll sind. Aber es gibt auch bei mir Grenzen. Eine ständig aktive Kamera geht gar nicht. Das sieht wohl sogar Google so. Ich meine gelesen zu haben, dass unter Android 12 mit einem leuchtenden Punkt (nur auf den Pixel-Phones?) angezeigt wird, wenn eine App auf die Kamera zugreift. Wäre interessant, ob dieser Punkt dann ständig leuchtet. Also sogar solche Datengiganten sehen eine aktive Kamera als Risiko, vor dem gewarnt werden sollte. Darüber sollten die Qualcomm Leute mal nachdenken. Man muss nicht alles machen, nur weil es machbar ist. Außerdem frage ich mich, ob das nach DSGVO überhaupt statthaft ist. Wenn z. B. in einem Konferenzraum ein Dutzend Handys mit aktiver Kamera auf den Tischen liegen.

    Schönen dritten Advent noch.

  • J

    Auch ich finde diese Funktion recht erschreckend, aber äußerst gut passend zum derzeitigen politischen Vorgehen auch europäischer Regierungen gegen unbequeme Bürger. Zwar habe ich eigentlich kaum etwas zu verbergen, möchte aber Voyeuren oder mir feindlich gesonnenen Mitbürgern das Ausspionieren nicht zu einfach machen. Aus diesem Grunde klebe ich stets die Frontkamera meines Smartphone‘s ab. Allerdings vermute ich, dass ein Großteil „naiver“ Nutzer sich auch in Zukunft darüber kaum Gedanken machen wird. Siehe Alexa und ihre noch dreistere Nachfolgerin.

  • K

    Es ist eine Einstellung mehr, die nichts Gutes bringt und daher nicht in ein Handy oder eine PC-Kamera gehört. Ich bestimme immer (noch), wen ich aufnehme und wem ich was mitteilen will!

  • B

    Einen schönen 3ten Advent wünsche ich,

    und zu Ihrer Frage ist meine Meinung recht sympel:

    alles was Hardware oder Software ohne zutun des Besitzers ausführt, gehört in den Müll.

    Es ist mein Gerät und was ICH damit mache, darf von keinem

    Geräte- oder Softwareanbieter beeinflusst werden.

    Soweit ich kann, habe ich alles Mögliche deinstalliert. Ja, sogar die Kamera per Einstellungssoftware abgeschaltet.

    MfG

    Bernd

  • L

    Kann dies alles super verstehen, nur den Spruch mit dem tollen Angebot nicht! Da Kundendaten immer wertvoller werden, schrecken einige Software-Hersteller vor nichts zurück und beschreiben diesen Diebstahl / dieses Ausspähen als Kundenwertschätzung und Komfort. Da es genug einfach denkende Menschen gibt, die sagen; Ich habe nichts zu verbergen! und die auch diese Funktionen super toll finden, weil sie die Auswirkungen nicht abschätzen können, wird sich diese Technik wohl breitmachen. Ich finde unsere Datenschützer versagen hier zu 100%! Ich verzichte auf alle Smart-Systeme, die freien Zugang auf das Internet haben, ständig aktive sind und sich alle Rechte herausnehmen. Ich stehe auf lokale Lösungen, die nicht ständig nach Hause telefonieren, die alle Daten nur direkt lokal speichern und ich nur selbst an meinem Computer sie auswerten kann und auf die ich auch nur direkt selbst über das Smartphone von außen zugreifen kann. Mit den neuen E-Cars, kommt die nächste komplett Überwachung (Fahrtziele, -wege und Fahrverhalten mit Insassenerkennung /-überwachung) auf uns zu. So mag der Staat und die Industrie uns Menschen, absolut ohne Privatsphäre und voll berechenbar und vorhersehbar.

  • T

    tja - und wie ist es mit praktisch permanent laufenden Apps, die das Recht zur Kameranutzung haben? Kann man da sicher sein, daß es nicht von Mark & co genutzt wird, um die Zeit des Blickkontakts auszuwerten? Dagegen finde ich offen kommunizierte Aktionen wie hier von Qualcom eher harmlos. (vermutlich abschaltbar; Nein:ich bräuchte es nicht)

  • l

    Danke, ein sehr informativer Artikel. Mehr davon.

  • O

    Eine völlig kranke Entwicklung, die verboten werden müsste.

  • G

    Ich finde diesen Artikel wirklich gut. Sehr Gut.

  • H

    Das geht gar nicht.

    Diese Funktion ist für mich ein Grund so ein Handy nicht zu kaufen.

  • B

    So ein Handy würde ich mir nicht kaufen,

    die Eingriffe in die Privatsphäre wären mir zu hoch.

  • F

    Never ever! :-) Non merci.

  • I

    auf keinen Fall. Ich hoffe, mein heiß geliebtes Samsung kommt nicht auf diese Idee, wenn ich mir ein neues kaufe.

  • J

    Hallo, Herr Krumrey,

    ich bin schon vor Jahren, als die Elektronik anfing, ein wenig schlauer zu werden, zu dem Schluss gekommen, dass der Satz „das ist so doch VIEL bequemer” eine Erfindung des Teufels ist.

    Mit 68 bin ich alt genug, um gelernt zu haben, wie wichtig die Trennung von „privat” und „öffentlich” ist.

    Dieser Schnapsidee kann ich nur wünschen, dass sie genau so ein Reinfall wird wie das Gerät, das Amazon vor einigen Jahren auf den Markt gebracht hat, das auch das Gesicht des Benutzers immer beobachten sollte.

  • J

    Abschalten. Und damit meine ich nicht den Moment der Ruhe, wenn ich mir meinen Tee zu Hause zubereite, sondern ich meine tatsächlich mein Smartphone: es ist zu >99% aus. Zu Hause ergibt es keinen Sinn, denn ich habe keinen Empfang, der Akku nudelt sich auf der Suche nach einem Masten leer. In der Firma: da bin ich zum Arbeiten, keine Zeit fürs Smartphone. Bei der Motorradtour oder im Restaurant mit Freunden: ich möchte in diesen Momenten nicht telefonieren sondern das tun, was ich eigentlich vorhatte: fahren oder mich unterhalten.

    Beim Wandern: die GPS Karte ist an, der Rest ist aus. Ich bin wandern, habe Freizeit.

    Instant Messenger und Statusabfragen? Die Welt wird sich auch weiterdrehen, wenn ich nicht minütlich (oder stündlich) auf dem aktuellen Stand gehalten werde. Täglich reicht i. d. R. vollkommen aus.

    Das Smartphone ist für mich da, nicht ich für es! Ich reduziere die Einschaltzeit und Nutzung des Smartphones auf die wenigen Momente, in denen ich es wirklich brauche. Oder wie die alten Römer sagten: nur Sklaven müssen ständig erreichbar sein.

    Das gilt erst Recht für die Kamera. Aus, kleines Licht!

  • H

    Orwell beschreibt in 1984 eine totale Überwachung, hauptsächlich mit Hilfe von Teleschirmen, genau das haben die Handyhersteller und da braucht man kein Verschwörungstheoretiker zu sein, dass dies von den Regierungen dieser Welt auch gewollt ist. Da brauchen wir nicht nach Peking schauen, solche Bestrebungen wird es auch in Berlin, London, Paris oder Washington geben. Schaut z.B. nach London, Überwachungskameras an allen Ecken und die Kriminalitätsrate, mit deren Senkung man dies begründet hat, ist eine der Höchsten in Großbritannien.

    Aber leider wie immer wird es genügend Leute geben die sich, ohne das Hirn einzuschalten auf diese Handys stürzen werden, denn es ist ja cool immer das neuste zu haben.

  • O

    Moin, ich habe mein 6310i und meinen Nokia Communicater wieder aktiviert. Mir geht dieser Budenzauber zuweit. Dazu Gerät in DEN Größen einer Fluganzeigetafel. NEIN DANKE

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