LIFE

Auf dem Weg zu asozialen Netzwerken

Sven Krumrey

Ich bin kein großer Nostalgiker und halte den Spruch „Früher war alles besser“, für ziemlichen Unsinn. Früher konnte gar nicht alles besser sein, schließlich waren wir da alle offline.

Doch frage ich mich inzwischen, was das Internet aus uns macht, ob es uns verändert. Zugegeben, die Beschimpfung war seit den frühesten Anfängen ein fester Bestandteil des Netzes, gerne mal übers Ziel hinausschießend und vulgär. Man kann anscheinend über alles streiten, die erbittertsten Wortgefechte habe ich dabei nicht im politischen Bereich, sondern im Bereich Tierhaltung und Ernährung gefunden, was mich bis heute verwundert. Wie man über Katzenhaltung und Veganismus mit Schaum vor dem Mund bitterste Verwünschungen in die Tastatur hacken kann, lässt sich wohl nur mit heiligem Eifer begründen, den Menschen in bestimmten Bereichen entwickeln. In einigen Fällen wird ein kalter Fanatismus draus, Krebs für den Charakter.

Ganz so hübsch bin ich nicht, wenn ich mich ärgere

Diese Fälle beunruhigen mich weniger, es sind wenige und in ihrem erbitterten Eifer outen sie sich meistens schnell als kaum zurechnungsfähig. Fanatiker gab es schon immer. Ob es um Musikstile ging, Religionen, politische Systeme oder Frisuren, es wurde beleidigt und die Vorfahren des Geschmähten wurden gerne dem Tierreich zugeordnet. Das hat mich nie beunruhigt, speziell Anonymität erleichtert das Pöbeln, man kennt das vom Fußballstadion oder im Straßenverkehr. Wenn ich aber in letzter Zeit in Kommentar-Bereichen lese, ob bei Youtube, Facebook oder in klassischen Medien wie Tageszeitungen, so fällt ein Trend höchst unschön auf: Viele Hemmschwellen scheinen zu fallen.

Besonders alarmierend: Selbst mit Klarnamen gibt es kein Pardon. Familienväter, die auf Profilbildern mit ihren Babys auf dem Arm in die Kamera strahlen, wünschen Andersdenkenden Tod und Pest an den Hals. Gab es das schon immer oder werde ich gerade alt und dünnhäutig? Anscheinend gehen diese Menschen davon aus, dass jede Äußerung und sei sie noch so derbe, ohne Konsequenzen bleibt. Gibt es da keinerlei Bedenken, sich voll Hass und Aggression der Welt zu zeigen? Obwohl ich nicht gerade als meinungsschwach gelte, mir wäre das extrem unangenehm. Oder befinden wir uns gerade auf dem Weg, im Netz alle Benimmregeln zu vergessen und die Aggressionen ungefiltert auf passende Ziele abzufeuern? Woher kommt das?

Die Zyniker unter meinen Freunden meinen, nun seien halt die Dummen im Internet angekommen. Jene, die wenig können, vieles nicht gelernt haben und deshalb mit purer Aggression auf alles eindreschen, was sie nicht verstehen. Die Entwicklung des Internets ging von einer Oase der Techniker hin zum Massenmedium, das ist klar. Selbst jene, die nicht wissen, wo man einen Computer anstellt, sind nun mit Smartphones im Netz und äußern sich manchmal mit der Empathie einer Nagelbombe. Wenn Rechtschreibung und Argumentation in Richtung des unglaublichen Hulks gehen, ist die Sache klar, sie können es halt nicht besser. Schade.

Eine ganz normale Familie. Auch im Internet?

Was mir hingegen wirklich Sorgen macht, sind jene, die ich mir locker als Nachbarn vorstellen könnte. Menschen, die sich um das Wohl ihrer Liebsten kümmern, Ihre Haustiere umsorgen und rundum sympathisch scheinen. Kürzlich sah ich in einem Supermarkt einen Herrn, dessen Äußerungen ich über Facebook kannte. Und während er seine Paprika aussuchte, dachte ich: „Das ist der Typ, der sich eine Weltherrschaft von Putin wünscht und allen politischen Gegnern den baldigen Exitus.“ Sonst wäre er mir unauffällig bis sympathisch vorgekommen, so griff ich mir meine Karotten und ging mit einem unguten Gefühl. Wenn solche Menschen mit der Extraportion Hass durchs Internet pflügen und jeden Andersdenkenden mit einem Schwall von Flüchen, Unterstellungen und Verwünschungen überziehen, ist das bedenklich.

Sind es zu viele Informationen, die auf uns einprasseln und unser Weltbild so kompliziert machen, dass wir selbst damit nicht mehr zurecht kommen? Sind es die Medien, die auf der Jagd nach Quoten und Klicks immer hysterischer berichten? Oder es ist die Welt selbst, die sich ändert und vieles in Frage stellt, was uns lange selbstverständlich vorkam?

Das Internet, wie es sein könnte

Dabei sollte doch jedem klar sein, dass man seinen eigenen Standpunkt dermaßen aggressiv denkbar schlecht vertreten kann. Niemand wird überzeugt, indem man ihm unterstellt, seine Eltern seien Geschwister. Man wirkt schlicht abstoßend. Ein Freund meinte mal: „Schreib so, als würde die Person vor Dir sitzen. Mit einer großen Keule in der Hand.“ Gut, der Ansatz ist vielleicht etwas zu defensiv, aber über eines müssen wir uns im Klaren sein: Wenn wir es nicht schaffen, vernünftig miteinander im Internet zu kommunizieren, so trennt es uns, statt uns zu verbinden. Dann werden sich Menschen radikalisieren und das betrifft nicht nur jene religiöse Extremisten, die durch die Medien geistern. Vielleicht werden wir unsere Nachbarn misstrauisch ansehen, nachdem wir gelesen haben, was sie in Rage von sich gegeben haben. In diesem Fall hätte das Internet, das dazu gedacht war, uns näher zu bringen, seinen Zweck komplett verfehlt. Eines sollten wir dabei nicht vergessen: Auch wir sind das Internet. Machen wir was draus.

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