Ein Wochenende ohne Handy – alles kein Problem?
In Sachen Handys gehöre ich klar zu den Spätberufenen. Als andere längst mit den ersten Nokias am Ohr durch die Gegend latschten und dabei geschäftig auf den Palm schauten, sah ich keinen Anlass für ein neues Gerät in meinem Leben. Allein die Aussicht, immer erreichbar zu sein, hielt mich davon ab. Inzwischen hat das Smartphone längst Einzug in mein Leben gehalten, als ständiger Begleiter und Selbstverständlichkeit, wie bei so vielen anderen auch. Schon 2016 war ich zuweilen genervt davon und lud etwas Frust in einem kleinen Blog ab. Zwar schaute ich danach nicht mehr ständig drauf, genutzt habe ich das Gerät natürlich weiterhin! Doch wie lebt es sich komplett ohne und sei es nur für ein Wochenende? Ich wollte das einfach mal versuchen und meine bessere Hälfte machte mit!
An einem Freitag gegen 16:45 Uhr klappte ich meinen Laptop zu – Wochenende. Im Wohnzimmer stand schon meine Freundin, das Handy in der Hand und warf noch einen schnellen Blick hinein, bevor wir beide die Geräte abschalteten. „Okay, wann treffen wir noch mal die Leute heute Abend?“ Schon nach zwei Minuten war das Bedürfnis groß, nur mal schnell nachzuschauen. Wir einigten uns auf 20 Uhr und zum Glück stimmte das auch. Gedächtnis, was war das noch mal? Danach kam ich mir vor wie ein Pawlowscher Hund auf Zwangsurlaub. Immer wieder musste der Automatismus, nur mal kurz nach dem Wetter oder auf den Messenger zu gucken, unterdrückt werden. In geselliger Runde wurde schnell klar, dass man erst ohne Handy bemerkt, wie häufig die anderen drauf sehen. Man hat halt immer etwas zu gucken! Hatte sich der Babysitter gemeldet? Musste die Teenie-Tochter von der Party abgeholt werden? Wieso meldete sich das heimische Sicherheitssystem mit einem Bild der Kamera? In gleicher Weise wuchs meine innere Unruhe, denn ich war nicht erreichbar. Brannte vielleicht gerade das Elternhaus lichterloh oder war die alte Nachbarin unter mir wieder gestürzt? Ich würde es viel später erfahren; früher Normalität, heute fast eine Grenzerfahrung. Selbst ein Blick später in den PC würde nichts bringen, niemand kontaktiert mich heute noch per Mail. Erst nach einem großen Bier konnte ich langsam loslassen. Ich war nicht der einzige Mensch auf Erden, der helfen konnte, die letzten Wochen waren ruhig gewesen und ich verbrachte einfach mit netten Leuten an einem lauschigen Plätzchen den Abend.
Der Samstag begann mit der Post- und einem Problem. Eine kleine Nachzahlung war beim Gas fällig, normalerweise mache ich das immer sofort online, doch wie geht das ohne Freigabe durch das Smartphone? Alles mit Zwei-Faktor-Authentifizierung fiel plötzlich weg. Ich las bei der Bank nach, fand alle Alternativen umständlich und merkte die Rechnung für den nächsten Montag vor. Von diesen Kleinigkeiten abgesehen, war es herrlich, mal etwas aus der Zeit zu fallen. Wir ließen folgerichtig auch gleich PCs und Tablets weg. Beim Marktbesuch lief ich voll in einen Platzregen hinein (kein Wunder, ohne Wetter-App), die Nachrichten im Fernsehen wurden plötzlich interessanter, denn ich kannte halt nicht alles schon aus dem Internet, und unwillkürlich rückten Bücher und Zeitschriften in den Vordergrund. Kurze Zeit später lagen schon fünf CDs vor dem Player, die Versorgung für den Nachmittag, es wurde ja nicht über Spotify gestreamt. Am späten Nachmittag kam ein besorgter Anruf über das Festnetz, ob alles in Ordnung sei, ich würde mich ja gar nicht melden. Unsere kleine Abstinenz wurde also binnen 24 Stunden bemerkt und das ausgerechnet von der Ü70-Generation! Abgesehen davon wurde mir klar, wie viel Zeit man plötzlich hat. Wie fokussiert lebt man, wenn keinerlei Ablenkung lockt? Bei garstigem Wetter lag das Agatha Christie-Buch wie festgesaugt in meiner Hand, woran sich bis zum Abendessen nichts änderte. Da wir auch Streaming wie Netflix verbannt hatten, schauten wir nach alter Väter Sitte pünktlich um 20.15 Uhr einen Film im Fernsehen. Alles erinnerte mich stark an die späten Achtziger, fast hätte ich eine Übertragung von Boris Becker oder Steffi Graf erwartet. Gegen 23 Uhr und damit wesentlich früher als sonst, meldete sich die Müdigkeit. Lag es daran, dass nichts uns wach hielt, keine anregenden Meldungen eintrafen oder etwa weniger störende blaue Wellenlängen des Handy-Lichts unsere Augen trafen? Ich konnte nirgends nachschauen, um das zu klären.
Der Sonntag begann entspannt, mangels News aus dem Internet holte ich eine Sonntagszeitung, die erste seit wohl zehn Jahren. Wir beschlossen, für einen gemütlichen Sonntagsspaziergang in einen etwas abgelegenen Wald zu fahren. Da wir dort eher selten sind, eigentlich ein Fall für die Navigation per Google Maps – heute nicht! Weil aber das Fahren nach Karte nicht gerade unsere gemeinsame Stärke ist (um es vorsichtig auszudrücken), entschied ich mich für das Navi meines Autos, zum ersten Mal überhaupt. Um es kurz zu machen: Wer sich auch immer dessen Benutzerführung ausgedacht hat, neigt offensichtlich zum hemmungslosen Sadismus. Nach elendem Drehen und Klicken war wenigstens die Stadt eingegeben, nun verlangte es nach einer Straße. Burgen, Museen und Schlösser kannte das Navi, diesen Wald nicht. An welcher Straße liegt ein Urwald? „Versuche mal Urwaldstraße“, ertönte es zögerlich von rechts und zu unserer großen Überraschung stimmte es! Im prächtigen Gehölz angekommen, durchzuckte es mich an jeder schönen Ecke, schnell ein Foto zu machen. Die etwas klobige Kamera war aber daheim, also blieb mir nichts anderes übrig, als mich ganz bewusst umzuschauen und möglichst viele Erinnerungen zu sammeln. Und wenn ich ehrlich sein darf, das war einfach toll und sehr entspannend. Weniger schön war dann, dass wir beim schlecht ausgeschilderten Rundweg eine falsche Gabelung nahmen, leicht konfus im dichten Wald standen und uns nicht mal schnell per Handy orientieren konnten. Nur ein dröhnend laut getunter Wagen in der Ferne brachte uns Richtung Straße zurück.
Zurück daheim fiel gleich beiden auf, dass wir uns noch mehr als sonst unterhielten. Wir gehören sowieso nicht zur stillen Sorte, aber die Handy-Abstinenz steigerte dies noch. Ich beschloss abends spontan, einen lieben Freund anzurufen, mit dem ich zuletzt nur über soziale Netzwerke Kontakt hatte. Jenseits aller kurzer Nachrichten, Smileys und lustigen Bilder entwickelte sich ein langes, sinniges Gespräch, das ich mit dem Handy wohl kaum gehabt hätte. Wenn wir uns das nächste Mal treffen, soll das Handy ausgeschaltet bleiben. Und so endete das etwas andere Wochenende, am Montag wurden die Smartphones angeschaltet und die Nachrichten trudelten ein. Hat uns etwas gefehlt? Jawohl! Haben wir etwas verpasst? Nicht wirklich. Aber wir haben dafür auch etwas bekommen! Mehr Ruhe, mehr Fokus, mehr Kommunikation, so könnte man es zusammenfassen. Und so wird es noch mehr Wochenenden geben, in denen das Handy aus bleibt.
Was mich interessieren würde: Spielt das Handy in Ihrem Leben eine große Rolle? Und wenn ja, wäre ein (freiwilliges) Wochenende ohne Smartphone für Sie denkbar?