In meiner Kindheit gab es magische Uhrzeiten. Um Punkt 20 Uhr kamen die Nachrichten im Fernsehen, niemand durfte diesen Termin verpassen. Schaute man in die Gärten der Reihenhäuser ringsherum, fand man Grünstreifen und Terrassen weitgehend verwaist vor. Vor einem türkisenen Hintergrund lasen Damen und Herren stoisch Texte vom Blatt ab, verzogen selbst bei verheerenden Katastrophen keine Miene und erzählten uns all das, was seit der Morgenzeitung passiert war. Danach gab es Unterhaltungssendungen mit Showmastern in grässlichen Sakkos, oder Krimis, in denen mies gelaunte Mitfünfziger in grauen Großstädten Mordfälle aufklärten. Dafür hatten wir fulminante drei Programme zur Auswahl, man baute halt alle Termine möglichst drum herum. Doch wie zeitgemäß ist Fernsehen heute noch, wenn immer mehr Konkurrenten wie Videportale und Streaming-Anbieter um die Aufmerksamkeit der Zuschauer buhlen und die Stammzuschauer immer älter werden?
Noch ist der Kampf um die Zuschauer nicht fürs Fernsehen verloren! Wie europäische Erhebungen von 2019 zeigen, nutzen noch 80% täglich dieses Medium, ein beeindruckender Wert und damit noch vor YouTube (knapp unter 70%), das häufig auch als Radioersatz genutzt wird. Weitaus niedriger in punkto Medienpräsenz sind Amazon Prime und Netflix mit grob 50% vertreten. Das hat sicherlich mit Prägung zu tun (wir sind wohl alle mit Fernsehen aufgewachsen), aber auch mit den immer noch beliebten Nachrichtensendungen, zu denen es im Streaming-Bereich noch keine bekannten Alternativen gibt. Während die Fernsehsender angesichts solcher Zahlen zuerst jubeln dürften, stimmt ein näherer Blick nachdenklich. Denn eine große Generationenlücke klafft zwischen den Zuschauern. 87 Prozent zwischen 50 und 65 schauen regelmäßig Fernsehen, unter 30 sind es nur 67 Prozent. Bei den Jüngeren dominieren ganz klar Videplattformen, z.B. YouTube, mit 81 Prozent und das Streaming mit 73 Prozent. Wichtig für die Werbeindustrie, welche ja besonders die Jungen im Blickfeld hat. Privatsender, die rein von Werbung leben, kriegen da natürlich hektische Flecken. Ein guter Grund, mit Product Placements, Schleichwerbung in Shows und bezahlter Promo in angeblichen „Reportagen“ ein Zubrot zu verdienen – und die oftmals seichten Inhalte weiter zu verwässern. Statt immer flacherem Entertainment wünschen sich viele einen unbequemen, kritischen Journalismus, der einen möglichst weiten Abstand zu den Reichen und Mächtigen hält, auch das ist in der Fernsehlandschaft selten zu finden.
Woran die Unlust zum Fernsehen bei den Jungen liegt? Die Angaben sind vielfältig. Viele haben inzwischen nicht mehr die klassischen Arbeitszeiten von 9 bis 17 Uhr, das Festlegen auf bestimmte Uhrzeiten ist da schlicht unerwünscht. Das Fernsehen hat oftmals auch das Nachsehen, wenn es um besonders begehrte Inhalte geht. Die großen Serien der letzten Jahre liefen fast alle in Erstverwertung auf Streaming-Portalen oder im Bezahlfernsehen. Und was ist eine Serie mit fortlaufender Story wert, wenn man eine Folge verpasst hat? Inzwischen werden mehr große Geschichten erzählt, während z.B. ein Columbo eigentlich immer beim Status Quo begann. Manchmal sind die Gründe noch simpler: Viele haben nicht mal einen Fernseher, speziell bei jungen Singles beiderlei Geschlechter. Da ist der Laptop oder Computer-Bildschirm das Tor zur Welt, und dieser ist in der Regel bereits groß genug für Entertainment, so dass z.B. eine kleine Studentenbude kaum mehr einen Fernseher braucht. Und so glaubt weniger als die Hälfte der U30-Zuschauer noch an ein Fortbestehen des Fernsehens im klassischen Format. Das Fernsehen reagiert natürlich und bietet z.B. Mediatheken an, um den Zuschauern eine Streaming-Möglichkeit zu geben. Auch der News- und Ratgeber-Anteil wird stetig ausgebaut, um die eigenen Stärken zu betonen. Allzu häufig sind aber nur kleine Teile des Programms online zu sehen, ganze Staffeln sind oftmals rar. Zudem spielt auch beim Internet-basierten Fernsehen die Technik nicht immer mit: Auf smarten Fernsehern oder den verbreiteten Amazon-Geräten sind die Apps oft fehlerhaft oder hakelig in der Bedienung. Der Sprung ins Internet ist kein leichter, auch wenn es schon Jahrzehnte am Start ist.
Es sterben auch die klassischen Rituale aus. Früher hieß es scherzhaft, der Fernseher mache aus dem Kreis der Familie einen Halbkreis. Heute schauen nur noch 11 Prozent mehrheitlich mit der gesamten Familie, der Rest schaut meistens alleine (48%) oder mit Partner (41%). Je jünger, desto häufiger wird alleine konsumiert. Das liegt natürlich auch an der größeren Auswahl, die heute herrscht. Nur ein Beispiel: Früher kam am Samstag "Raumschiff Enterprise", das war mein SciFi-Highlight für eine Woche, mehr gab es nicht. Heute kann man nicht nur zwischen unterschiedlichsten Enterprise-Generationen mit mehreren Hundert Episoden wählen, sondern hat unzählige Serien und Filmen aus diesem Genre allzeit abrufbereit parat. Bezahlsender, die sich nur diesem Genre verschrieben haben, senden sogar 24 Stunden am Tag maßgeschneiderte Inhalte für ihr Zielpublikum. Habe ich damals mit meinen (Groß-)Eltern zusammen geschaut, weil wir den gleichen Geschmack hatten? Nein, es gab halt nicht mehr Auswahl und einen eigenen Fernseher bekam ich auch erst vergleichsweise spät. Man einigte sich auf den kleinsten gemeinsamen Nenner und der hieß zum Glück oft Boris Becker. Oft wurde es aber zäh, dann nahm man sich sein Buch zur Hand und fertig. Hätte ich damals Alternativen wie heute gehabt – ich hätte jubelnd zugegriffen!
Natürlich müssen wir auch über Werbung innerhalb von Filmen und Serien sprechen. Man weiß, dass die Privatsender nicht ohne Werbung überleben können, das macht es jedoch keinen Deut erträglicher. Der Film nähert sich dem Höhepunkt? Die beste Zeit, um mir in einer Höllenlautstärke Damenbinden, nach Schokolade krähende Kinder oder weitere Programmhinweise zu zeigen! Auch die Länge der Werbeblöcke ist mittlerweile kaum zu ertragen. Wer möchte sich ernsthaft den ersten Teil von „Der Hobbit“ anschauen und wegen intensiver Werbung erst nach Mitternacht ins Bett kommen – und das vor einem Werktag? Ich möchte auch keine Einblendungen während der Sendungen, die irgendeine Kochshow mit einem Unsympathen anpreisen und bei der Spannung und Atmosphäre komplett flöten gehen. Wer die eigenen Inhalte so massiv entwertet, muss sich nicht wundern, wenn sie keiner mehr sehen will! Zudem wird man durch das Streaming massiv verwöhnt. Störende Einblendungen sind dort tabu, zwischen Episoden oder vor einem Film ist maximal ein Programmhinweis, damit kann man leben!
Und so wird das Fernsehen sich ändern müssen, wenn es im Konkurrenzkampf bestehen will. Das reine Kostenargument (viele Sender sind frei oder billig zu empfangen) zieht da weniger, Menschen bezahlen gerne, wenn die Gegenleistung als gerechtfertigt empfunden wird. 171,77 Millionen Abonnenten von Netflix und mehr als 150 Mio Amazon Prime-Nutzer sprechen für sich. Die ständige Verfügbarkeit, die Vielfältigkeit der Inhalte und auch die weitgehende Werbefreiheit werden neue Generationen und deren Sehgewohnheiten prägen. Und die werden sich dann mit keiner Fernsehshow zufrieden geben, in der ein Glücksrad gedreht wird – so gemütlich es damals auch war!
Was mich interessieren würde: Schauen Sie noch täglich Fernsehen? Was könnten die Sender besser machen?
Ich bin vom Fernsehen komplett abgekommen: Höchst selten gibt es überhaupt etwas für mich Interessantes und dann kämpfe ich sowieso mit der Reizüberflutung.
Wenn ich mich berieseln lassen will, nutze ich vorzugsweise die ARD-Audiothek und den BBC World Service.
Mein Leitmedium ist alles Schriftliche, egal ob auf Papier oder elektronisch. Das kann ich leicht durchsuchen und in der Geschwindigkeit konsumieren, die mir passt. Dagegen kommt für mich auch die Tagesschau nicht an.
Meine typischen "Wasserlöcher": Handelsblatt.com, sz.de, nzz.ch, faz.net. Wenn man seine Cookies regelmäßig löscht, sind diese Websites etwas freigiebiger.
Gelegentlich bin ich auch bei Youtube. Bei manchen Dingen sind bewegte Bilder allem Schriftlichen überlegen.
Auf Ihre zwei Fragen kann man so leicht keine Antwort geben. Ist es noch Fernsehen schauen, wenn ich den Herrn der Ringe auf einem 60er oder 80er 4K von Bluray schaue oder meinen Sie den nackten angebotenen Inhalt? Hier ist für mich der erste Ansatz. ich empfinde es als unsinnig, Filme (und damit werben ja gerade die Streaming Anbieter) auf einem Smartphone oder 15er Laptop anzusehen. Man stelle sich vor, alle sitzen im Kino vor ihrem eigenen Laptop um sich den neuesten Blockbuster anzusehen!
Was die Qualität der Angebote angeht, so braucht sich das öffentliche nicht vor den privaten zu verstecken. Leider haben sie nicht verstanden, dass z.B. die Lindenstraße seeeehr lange gelaufen ist und die Fans mit dieser Serie gealtert sind. Wo bleibt die GoT gleiche Serie für die Jüngeren. Rote Rosen oder verbotene Liebe schießen da an der Zielgruppe weit vorbei. Auch das Sport Angebot ist mehr als mau. Im Winter von morgens bis abends Abfahrt, Biathlon etc. Und wenn der Schnee weg ist, tote Hose. Wo bleiben Handball, Tischtennis, Badminton etc. Die dritten Programme könnten all das leisten anstelle endloser Wiederholungen von Wiederholungen. Und wenn jemand wirklich noch eine Folge von Monk verpasst hat, kann man die ja in den Mediatheken bereit stellen anstelle tausender Folgen der Tagesschau. Bezahlt wird ja sowieso pro Haushalt. Also verschwendet bitte nicht mehr Millionen für die sogenannten Stars der wochenendlichen Hitparaden, Traumschiffe, Pilchers und der Verstehen Sie Spaß oder ähnlicher Shows, die ich im Kreise der Familie abends gesehen habe. Aber, wie es im Beitrag anklang: Damals eine Familie, ein Fernseher= 1 Angebot. Das Fernsehen hat so ungefähr 12 verschiedene Kanäle, die ein breites Spektrum abdecken könnten, aber das Geld wird hauptsächlich für wenige, überalterte Formate ausgegeben. Man sollte sich den ESC mal als Beispiel nehmen. Solange immer die gleichen die Art der Songs vorgeben, null Punkte. Stefan Raab hat das mal geändert. Und nun stimmt die breite Masse ab (online) und siehe da, Qualität ist nicht gefragt, wie man an der 'Haltbarkeit' der Musiktitel sieht. Aber das 'Event' verschlingt Abermillionen und Geld für interessante, wichtige Beiträge fehlt. Mein Rat für das Öffentlich Rechtliche: Vielfalt ist die große Stärke. Ihr habt zwischen 0900 und 2000 reichlich Zeit, in jedem Kanal etwas anderes anzubieten (und dann wirklich Regionales). Schaut dann mal rein, was die verschiedenen Zielgruppen anspricht und handelt entsprechend.
Bleibt gesund und verteilt die Gebühren an Eure vielen Zuarbeiter wie z.B. Journalisten und nicht an wenige, sogenannte Stars in den bekannten 'Rentnersendungen' und den vielen, vielen gierigen Fussballfunktionären und Balltretern. Ich denke, dass dann ein erheblicher Batzen Geld frei wird für Beiträge für alle Altersgruppen.
Danke für den schönen Beitrag.Da ich seit vielen Jahren dem Fernsehprogramm entsagt habe,sprich ich seit vielen Jahren meine Filme und Dokus über Internet oder Blu-ray am PC schaue ist mir das Fernsehprogramm egal.Klar habe ich noch einen Frenseh,aber der ist für die Familie (Frau und Kinder).Das Filmangebot via Netflix und Amazon Prime ist vielfältig da ist für jeden was dabei und vor allem ohne Werbung.Man kann selber entscheiden wann und was man schauen will.Daher denke ich das Ihr Beitrag sehr zeitgemäß ist und das sich das fernsehen ändern muss um zu bestehen.
Hallo Sven,
mal wieder voll in's Ganze getroffen .).
Natürlich ist heute mehr Angebot. Ich habe auch mit drei Programmen leben "müssen" :).
Bei den Privaten muss man halt mal hinschauen. Es gibt da Sendungen, die nenne ich AsiTV. Wenn allerdings Sendungen wie "Die Höhle der Löwen" laufen, schaue ich gerne zu. Dass die privaten Sender sich mit Werbung finanzieren müssen, egal, ob in der mindestens fünfminütigen Werbung oder mit Platzierungen in den einzelnen Sendungen, finde ich gar nicht so schlecht. Die Werbepausen sind etwas länger, als meine Rauchpause auf der Terrasse :). Ein mal pro Stunde gönne ich mir diese Pause :9.
Bezahlsender wie Netflix ua. interessieren mich nicht. Es reicht mir, wenn ich eine verpasste Sendung aus den allgemein empfänglichen Sendern in der Mediathek sehen kann. Das Angebot in den Mediatheken der verschiedenen Sender ist ziemlich groß. Und mehr als 24 Stunden am Tag fernsehen geht ja eh nicht :):):).
Liebe Grüße, dietschi
Ich finde es gut, daß hier viele Facetten des Themas erwähnt werden.
Was man vielleicht nicht vergessen sollte: von staatlicher/rechtlicher Seite ist es m.W. unerwünscht, daß ÖR-TV/Rundfunk eine Konkurrenz zum Privatangebot darstellt. Daher DARF von dort nicht viel mehr über Internet angeboten werden, als ein wenig Mediathek.
Sicher wird es immer Konsumenten geben, die vorgefertigtes Programm konsumieren wollen - ebenso wie jene, die alles lieber selber zusammenklicken - und alle Anbieter werden ihr Bestes geben, um die Kunden "süchtig" zu machen - siehe auf Text/Bildebene das Erfolgsmodell Facebook.
Am erfolgreichsten wird vermutlich ein Angebot sein, welches beides kombinieren kann und z.B. aus den Daten von Surfern oder onDemandStreamern laufend ermittelt, wie man die Linear-Konsumenten ebenfalls am glücklichsten macht. Von jenen werden natürlich auch Daten gesammelt und ausgewertet (z.B. mit jedem Hbbtv-tauglichen Gerät).
Daß dabei jegliches Niveau auf der Strecke bleiben kann, ist der Preis, den wir mündige Kunden unbemerkt zahlen werden - ebenso wie die zunehmenden Möglichkeiten, uns über vorselektierte Inhalte zu manipulieren.
Ein guter Aspekt, zudem haben sie auch viele Inhalte in Lizenz, die nicht *frei zugänglich* (also ohne Paywall) im Internet erscheinen dürfen. Das erschwert es sicher zusätzlich.
Ich sehe immer noch die Nachrichten zur originären Sendezeit, 19 oder 20 Uhr. Filme im Privatfernsehen Zeichen ich auf Festplatte auf,bin die unerträgliche Werbung überspringen zu können und sehr oft benutze ich die Mediatheken der öffentlich rechtlichen Sender.