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Eines für alle - die neue Art von Betriebssystem

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Der Handelsstreit zwischen den USA und China tobt unvermindert, in allen Bereichen werden Alternativen gesucht, um weniger abhängig vom wirtschaftlichen Gegner zu sein. Eines der größten Druckmittel im IT-Bereich ist der „nationale Notstand in der Telekommunikation“, den Präsident Trump bereits ausgerufen hat. Dieses Dekret kann jederzeit chinesische Firmen von der Zusammenarbeit mit amerikanischen Firmen ausschließen, wie unlängst geschehen. Plötzlich wurde klar: Firmen wie Huawei haben bislang keine eigenen Alternativen, wenn ihnen die Zusammenarbeit mit Alphabet/Google untersagt wird. Das wohl prestigeträchtigste Unternehmen Chinas konnte das natürlich nicht auf sich sitzen lassen. Und so präsentierte kürzlich Huawei-Mobile-Chef Richard Yu ein Betriebssystem, was einfach überall laufen soll, ob auf Handy, Tablet, Fernseher oder im Auto. Bühne frei für Harmony OS!

Auf jedem Gerät zu Hause

Wie Harmony werden soll: superschlank und total kompatibel. Ein weiterer, wichtiger Ansatz: Harmony soll auf allen Geräten laufen können, die überhaupt Betriebssysteme benötigen. Man denkt da natürlich zuerst an Smartphones oder Tablets, doch das ist nur die Spitze des Eisbergs. Smartwatches und Lautsprecher sollen ebenso mit Harmony versorgt werden, wie Autos, Kühlschränke oder Puppen. Ob man nur ein paar Kilobyte Arbeitsspeicher in einem Spielzeug hat oder zig Gigabyte in einem Tablet, Harmony soll die Fragmentierung (hier: verschiedene Betriebssysteme auf verschiedenen Geräten) beenden. Das Internet of Things, mit seinen Milliarden Geräten zwischen Überwachungskameras, “intelligenten“ Kühlschränken und Industrierobotern, könnte theoretisch komplett mit Harmony OS laufen. Dies hätte den immensen Vorteil, dass bei der Entwicklung an nur einem (wenn auch sehr variablen) Produkt gearbeitet werden muss und die Kommunikation zwischen den Geräten einfacher abläuft.

Das Ganze funktioniert nur, wenn man neue Wege geht und eine sog. Mikroarchitektur einsetzt. Das Kernstück dieser Technik ist der Mikrokernel, hier der Betriebssystemkern von Harmony. Dieser Kern ist extrem klein, weil er nur wenige Aufgaben hat. Viel mehr als Prozessverwaltung, Speicherverwaltung, Synchronisation und etwas Kommunikation kann er nicht. Der Rest läuft, anders als beim monolitischen Kernel (Unix, mac OS, etc.), über separate Prozesse oder Programmbibliotheken. Vergleichen wir die beiden Ansätze mit einem Hausmeister, hat der Mikrokernel nur wenige Aufgaben, kann nur einige Räume betreten und hat kaum Schlüssel. Für den Rest braucht er Hilfskräfte, die auch nur spezielle Aufgaben und wenig Rechte haben. Sein Gegenspieler, der monolitische Hausmeister, hingegen hätte hingegen sehr viele Aufgaben, sehr viele Schlüssel und käme praktisch in jeden Raum. Je weniger Rechte aber im Umlauf sind, desto sicherer ist ein System. Man geht daher davon aus, dass Harmony wegen seiner Mikrokernel-Architektur ein sehr sicheres System sein wird.

Intelligenter Fernseher mit HarmonyOS

Eines der größten Probleme dieser Neuentwicklung: Speziell die Kunden im Westen werden kaum mitziehen. Wer seine Verwandten beschmunzelt, weil sie immer wieder ins selbe Restaurant gehen, kennt viele Handy-Nutzer nicht. Die wollen nämlich alles genau so, wie sie es kennen, jede Neuerung wird kritisch betrachtet und in zahlreichen Gruppen und Foren in der Luft zerrissen. Und jene Kundschaft soll nun mit einem völlig neuen Betriebssystem konfrontiert werden? Entweder kopiert man hier die Platzhirsche bis aufs I-Tüpfelchen oder man experimentiert mit eigenen Konzepten, ohne dabei allzusehr vom Gewohnten abzuweichen. Letzteres kann schwierig sein. Konkurrent Xiaomi hatte z.B. schon mit seiner Eigenentwicklung MIUI Erfolg, die ganz breite Akzeptanz kam aber erst mit der Veröffentlichung von reinen Android-Smartphones. Zudem könnten Harmony-Handys komplett ohne Google-Dienste ausgeliefert werden, für westliche Kunden schwer vorstellbar. In China, wo Google eh geblockt wird, sind die Hürden für Harmony OS dagegen wesentlich niedriger.

Ein weiteres Problem: Wo sind die Apps? Kein Betriebssystem überlebt ohne eine immense Auswahl an Apps. Wer den traurigen Tod der Windows Phones verfolgt hat, wird hier zustimmen: Ohne alle bekannten Apps in leistungsfähigen Versionen gibt es für keine Neuentwicklung eine Zukunft. Huawei geht hier den besten Weg: Zukünftig sollen alle HTML5-, Linux- und Android-Apps auf Harmony laufen. Ein ehrgeiziges Ziel, hier totale Kompatibilität zu versprechen! Ob das wirklich funktionieren wird, wird erst die Zukunft zeigen. Marketing-Versprechen sind immer grandios, die Wahrheit auf dem Gerät sieht häufig anders aus. Und wo sollen die Nutzer die Apps dann herbekommen? Einen Zugriff auf den Playstore wird es kaum geben, eine entsprechende Sicherheitsüberprüfung der Apps, wie zuletzt vermehrt von Google umgesetzt, müsste komplett selbst bewerkstelligt werden. Mancher wird neue Apps daher wohl mit einem eher mulmigen Gefühl installieren.

Die treibende Kraft: Huawei

Was man generell nicht implementieren kann, ist Vertrauen, das muss man sich verdienen. Und genau hier wird es Huawei schwer haben, ihre westlichen Kunden zu überzeugen. Die Angst, sich beim Kauf gleich die chinesischen Behörden aufs Handy zu holen, wiegt schwer. Vielleicht hat man sich auch deshalb entschlossen, Harmony unter dem Open Source Banner laufen zu lassen. Wenn der Quellcode offen ist, werden hunderttausende Enthusiasten weltweit einen scharfen Blick in den Code werfen, um mögliche Hintertüren für die Behörden aufzudecken. Zudem versucht Huawei gerade massiv, Harmony auch anderen Firmen schmackhaft zu machen. Speziell auf dem asiatischen Markt stehen die Chancen dafür nicht schlecht, viele Firmen sind durch die Ereignisse des letzten Jahres regelrecht traumatisiert. Wir als Endbenutzer können nur warten, bis die ersten Harmony-Versionen zum Testen zur Verfügung stehen. Und da Konkurrenz immer den Markt belebt: Willkommen, Harmony!

Was mich interessiert: Würden Sie einem chinesischen Betriebssystem Ihr Vertrauen schenken?

60 Kommentare
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  • J

    Wenn man sieht, wie Google, Facebook und andere mit unseren Daten umgehen, kann ein chinesisches Open Source Programm sicherlich nicht unverfrorener sein! Als Alternative wäre es mir willkommen und als Kunde könnte ich Hersteller, die sich politisch vor irgend einen Karren spannen lassen abstrafen und ihre Produkte nicht mehr kaufen! Voraussetzung dafür ist das Motto " Tschüß Bequemlichkeit".

  • I

    Konkurrenz belebt das Geschäft und ich traue den Chinesen schon zu, dass sie ein gutes Betriebssystem liefern. Was sie vorhaben, hört sich gut an. Die Chinesen wissen sicherlich auch, dass ohne Apps gar nichts geht …

    Warum können die nicht einen eigenen Playstore aufmachen? Dürfen die App Anbieter nur exklusiv im Google Playstore angeboten werden???

    Ich glaube, die Chinesen wissen ganz genau, worauf es jetzt ankommt. Es geht nicht von jetzt auf gleich, aber sie werden es hinbekommen. Es ist gut, wenn man nicht nur von einem Land abhängig ist, zumal die USA mittlerweile auch schon die Daumenschrauben anziehen und spioniert wird überall.

    Ich würde es begrüßen, wenn es mehr Konkurrenz gibt.

  • D

    Gegenfrage:

    Warum schenken wir fast alle einem US Betriebssystem unser Vertrauen?

    Eine sehr berechtigte Frage, Herr Grabowski! :) Genau solchen Gründen berichte ich ganz bewusst auch über Datenschnüffeleien in aller Welt.

  • H

    Wer mich ausspioniert (überwacht um das System zu verbessern!) soll mir egal sein. Was mir zusagt, ist, dass der "Hausmeister" nur einen Schlüssel hat. Also "why not".

  • M

    Ich muß Herrn Fischer hier recht geben. Wer dich im Endeffekt ausspioniert, ist doch egal. Nur Google macht es definitiv. Und ich vermute mal, vielleicht dann sogar noch mehr, als Harmony. Ich hatte damals ein Samsung Handy, wo alle noch mit Nokia hier rum rannten. Geiles System. Nur wurde das nicht weiter entwickelt und alle sind auf Google umgestiegen. Heute wünschen sich viele eine bessere alternative, weil Sie wissen was Google alles macht. Aber es gibt keine bessere Auswahl. Ich denke, man sollte denen mal eine Chance geben und Ihnen schon dabei auf die Finger schauen. Wenn das System so gut ist, wie es sich hier anhört, würde ich auch umsteigen. Man kann nicht zu etwas sagen, es ist schlecht, wenn man es nicht probiert. Ist wie beim Essen.

    Die Samsung Eigenentwicklung war auch eine gutes Beispiel dafür, wie wenig flexibel viele Benutzer sind. Wirklich schade, etwas mehr Vielfalt wäre auch für die Sicherheit sehr von Vorteil.

  • F

    Willkommen Harmony!

    Es ist wichtig, endlich weltweit eine Vereinheitlichung nicht nur beim Betriebssystem, sondern auch bei den Steckverbindungen (USB) etc. herbeizuführen. Es würde nicht nur für den Anwender vieles vereinfachen, sondern auch die Herstellung der Geräte würde sicher günstiger.

    Außerdem traue ich den Chinesen zu, dass sie auch den Zugriff auf Android- und IOS-Apps mit Harmony noch hinkriegen.

  • J

    Ich hatte Handys von Siemens mit "selbst gestricktem " OS, von Nokia mit Symbian, diverse Androiden - wenn die Chinesen ein brauchbares OS anbieten, warum nicht.

    Es wird natürlich schwer werden, in die Phalanx aus Google und Apple einzudringen, da ist selbst Microsoft gescheitert. Auf dem heimischen Markt werden sie eine gute Chance haben, aber im "Rest" der Welt? Für mich wäre es bereits ein Nogo, wenn meine Apps, darunter auch etliche gekaufte, nicht mehr laufen und das werden sie ohne Unterstützung von Google nicht tun.

  • E

    Warum nicht,meiner Meinung nach ist es doch egal wer dich Ausspioniert,es machen doch alle und sei es nur zu Werbezwecken oder Einkaufsverhalten.

  • K

    Hier gilt auch die alte Weisheit der Softwareentwicker: Die Ersten sind die Versuchskaninchen, die Letzten beißen die Hunde.

    In der Praxis bedeutet dies, daß ein neuer Käufer noch nicht die optimale Unterstützung erhalten kann. Es sind Bugs vorhanden die Fehler oder Beeinträchtigungen nach sich ziehen und die Nutzbarkeit einschränken. Außerdem müssen Erfahrungen bei den Geräteherstellen und Supportkapazitäten vorhanden sein.

    Dieses Betriebssystem muß erst beim Einsatz "in der Masse" reifen.

    Wird ein Gerät durch ein neueres Modell ersetzt, so werden keine Updates für das alte aus wirtschaftlichen Gründen erstellt.

    Trotzdem finde ich ein neues Betriebssystem aus einer anderen Ecke der Welt sehr begrüßenswert. Wir sind schon zu sehr vom amerikanischen Weltmarkt abhängig und werden gegängelt.

    Also auch von mir: Herzlich willkommen !

  • F

    Selbstverständlich vertraut man klugerweise nur so weit, wie man selbst über den Zaun zu schauen vermag. Aber wenn man die Vergangenheit betrachtet mit den Abhöraktionen der NSA z,B., und da sind die von Google Facebook und Co noch gar nicht mitgerechnet, und den Anstrengungen diverser Dienste, die ja angeblich nur unsere Sicherheit vor all den bösen Terroristen im Sinn haben und deswegen unsere Kommunikationsgeräte jederzeit kontrollieren wollen können, ist doch ein Open Source Betriebssystem eine Super Sache. Was man selber nicht sieht oder versteht, könne vielleicht tausende andere fähige Nutzer. Und mal ehrlich, nicht erst seit Trumps Amerika - Ist der Unterschied betreffs Überwachung oder gläserner Bürger überhaupt vorhanden? Oder spielt bei der ganzen Angst nur der traditionelle Glaube an die guten US Boys versus die gefährlichen Roten die größte Rolle?

    Wer Politik als verlängerten Arm der Finanzindustrie begreift, dem sollte es egal sein ob Google seine Hosengröße kennt oder Huawei (um zwei Opponenten mal rauszugreifen). Mich jedenfalls hat es immer schon gestört, dass ich mit den Smartphone Betriebssystemen auch immer ihre Zwangs-Apps mitschleppen musste ohne sie zu nutzen oder zu wissen, was sie sonst so tun außer Speicher zu verschwenden. Harmony, ich bin gespannt auf dich! (bevor wir den Amerikaner nicht nur bei Flugreisen sondern vielleicht schon beim Kauf eines Smartphones mit Google oder Apple unsere Daten 'anvertrauen' dürfen müssen)

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