LIFE

Visite bei Dr. Google

Sven Krumrey

Eine Krankheit hatte mich nieder gemäht, mehr als eine Woche lag ich flach. Was meine Oma mit „der Junge hat was mit den Ohren“, umschrieben hätte, ließ mich nicht ruhen. Schlaflos wälzte ich mich umher, während mein Trommelfell wie ein sterbender Spatz flatterte und taumelte irgendwann ins Wohnzimmer. Anstatt mich vom Fernseher berieseln zu lassen, machte ich einen großen, großen Fehler: Ich gab bei Google meine Symptome ein und machte mich auf die Suche. Eine Stunde später wähnte ich mich dem Tode nahe.

Wenn die Ohren zum Feind werden

Nachdem ich beim circa zwanzigsten Suchergebnis war, hätte ich das Buch 1000 kleine Anzeichen für tödliche Krankheiten schreiben können. Derweil es in meinem Innenohr sauste und dröhnte, wurden die gefundenen Gebrechen immer fataler. Die gängigen Diagnosen legt man dann schnell beiseite, denn es könnte ja auch etwas Ernstes sein. Und mit dem Gedanken entwickelt sich ein Sog, der unschöne Blüten treiben kann. Und auch, wenn man kein Hypochonder oder Schwarzmaler ist – kann man schnell einer werden.

Denn der Mensch neigt, übermüdet und krank, zur Dramatik und Google hält genug verheerende Krankheiten parat, die uns ernsthaft Sorgen machen können. Was mich quälte, konnten auch Vorzeichen meines baldigen Abgangs werden, so las ich morgens um 4 Uhr. Illustriert mit unappetitlichen Gewebeschnitten fand ich genug Leidensgeschichten, um auch komplett gesund schlaflose Nächte zu verbringen. Bevor es allzu dramatisch wurde, wechselte ich lieber auf Seite 2 der Suchergebnisse.

Die richtige Diagnose per Rechner- ein ferner Traum

Bunt bis wunderlich wird es, wenn man zufällig auf eine Seite für alternative Medizin kommt. Ob die heilende Kraft aus den Höhen der Appalachen in Form getrockneter Flechten mein Ohr retten sollten oder doch eher die Hopi-Ohrenkerzen (eine Art Trichter, der ins Ohr gesteckt und dann angezündet wird), die Auswahl ist groß. Ein kurzer Test ergab: Anscheinend fehlen mir zahlreiche Vitalstoffe und fast sämtliche Elemente, die das Periodensystem hergibt. Ein Wunder, dass ich Ihnen noch diese Zeilen schreiben kann, ich müsste schon tot auf dem Büro-Boden liegen! Wer hinter zahlreichen (natürlich nicht allen) dieser Seiten rein kommerzielle Absichten erkennt, dürfte wohl richtig liegen. Hier versuchen Firmen inkognito, unter dem Deckblatt gesundheitlicher Aufklärung ihre Waren massiv zu bewerben. Irgendwie unschön, wenn man gerade sorgenvoll vor dem Rechner sitzt.

Liebenswert hingegen erscheint ein Hals-Nasen-Ohren-Forum, wo sich anscheinend tiefe Bande zwischen Leidensgenossen entwickelt haben. Die Chronischen heißen jeden Neuankömmling willkommen, die Geheilten verabschieden sich voller Wehmut und versprechen, bei der nächsten Ohrenentzündung wieder vorbei zu schauen. Denn hier wird jedes Zwicken im Gehörgang gemeinsam verarbeitet, „Nasen-Ulla*“ teilt mit Mutterwitz die Anekdoten ihres Riechorgans und man fühlt sich schnell heimisch. In solidarischer Gemeinschaft werden Nebenhöhlen zu Schauplätzen epischer Schlachten und auch im Bereich Medikation gibt es wahre Schnäppchen und Geheimtipps. Wer möchte da noch gesund werden? Wenn dann noch „HNOlli*“ bei seiner Verabschiedung einen traurigen Smiley hinterher schickt, verdrückt man glatt ein Tränchen mit.

Mit zunehmender Recherche bemerkte ich ein seltsames Phänomen – ich meinte, ernsthaft Ahnung von der Materie zu bekommen. All die anfangs verwirrenden Fachbegriffe, Symptome und Krankheiten entwickelten logische Zusammenhänge und ich fühlte mich gut gerüstet zur Enttarnung der Krankheit. Eigentlich, so dachte ich leicht euphorisiert, müsste ich nur noch zum Mediziner, um mir entsprechende Medikamente aushändigen zu lassen. Vielleicht hatte ich da meine wahre Berufung – international gefeierte HNO-Koryphäe – gefunden?

Ein Arzt aus Fleisch und Blut - die bessere Alternative Ein Arzt aus Fleisch und Blut - die bessere Alternative

Ein befreundeter Arzt kennt das Phänomen allzu gut: „Da kommen Leute in meine Praxis und sind fest davon überzeugt, dass sie an einer Krankheit leiden, die seit Ihrer Entdeckung vor 100 Jahren weltweit 11 Menschen hatten. Denn es stand ja im Internet. Kennt man diese Krankheit nicht, weil sie schlicht nie auftritt oder zweifelt man ihre Eigen-Diagnose an, ist man plötzlich ein schlechter Arzt. Sicher sind wir nicht allwissend, aber 2 Stunden Internet ersetzen kein Medizin-Studium.“ Und auch meine nächtlichen Stunden vor dem Bildschirm waren – ich gebe es offen zu – komplett sinnlos. Was ich mir vorher zusammen gereimt hatte, traf nicht im Entferntesten zu und ich war froh, meine Vermutungen schön für mich behalten zu haben.

Denn bei all den Informationen, die uns das Internet zu Verfügung stellt, werden wir nicht im Handumdrehen zu Spezialisten. Und wenn das nächste Mal meine Gesundheit Sperenzchen macht, lasse ich den Rechner aus. Hoffentlich! Was mich interessieren würde: Wie gehen Sie mit Krankheiten um? Stürzen Sie sich in die Weiten des Internets und recherchieren Stunde um Stunde? Oder warten Sie einfach mal ab, was der Arzt so findet?

*Namen wurden geändert. Minimal.

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