TECH

KI für alle! Ob wir wollen oder nicht!

Sven Krumrey

Kürzlich entdeckte ich einen kleinen, bunten Ring auf WhatsApp. Ich ahnte schon, was mich erwartet, und wurde nach dem Antippen folgerichtig bei der „Meta AI“ empfangen. Ein paar Tage früher hatte ich bereits den Copiloten aus dem Office geschmissen und bei meinem Opera-Browser „Aria“ (die dortige künstliche Intelligenz) ausgeblendet. Dass ich bei meiner Versicherung zuerst bei einer (selten dummen) KI landete, hatte mir die Laune zusätzlich verhagelt. Geht nichts mehr ohne künstliche Intelligenz?

Nutzen und Tücken der künstlichen Intelligenz

Nutzen und Grenzen der künstlichen Intelligenz

Als Redakteur mit Schlagseite Richtung Technik arbeite ich natürlich selbst mit KI. Der Spruch „KI wird dich nicht ersetzen, sondern jemand, der sie nutzt“, ist korrekt. Eine KI erspart einige Arbeitsschritte und sorgt dafür, dass der Lebenswille bei allzu stumpfen Arbeiten nicht zu sehr schwindet. Gebrauchstexte lassen sich so schnell erzeugen, als Ideengeber ist sie ebenfalls einsetzbar – und solange ein Redakteur noch vor Veröffentlichung draufschaut, passieren keine Unglücke. Soll die KI jedoch einen Text erzeugen, wie Sie ihn gerade lesen, wird es kritisch. Natürlich hat sie keine Persönlichkeit, kennt keine Fokussierung, keinen Humor und kommt gerne ins Fabulieren, statt auf den Punkt. Weiß man um die Limitierungen des Systems, kann man damit gut arbeiten. Das sind aber massive KIs mit Zugriff auf gigantische Datenbanken, teuer im Unterhalt – und damit eher Ausnahmen. Was uns im Alltag und besonders als Kunden erwartet, ist oft weder groß noch schlau!

KI hat ihren Namen oft nicht verdient

Dass künstliche Intelligenz keine Intelligenz im engeren Sinne ist, wurde ja schon zur Genüge diskutiert. KI versteht Inhalte (noch) nicht wirklich. Sie erkennt Muster und erstellt Vorhersagen auf Basis von Daten, hat aber kein echtes Bewusstsein, keine Intuition oder ein tieferes Verständnis wie ein Mensch. Sie simuliert Intelligenz, indem sie passende Antworten erzeugt – aber nicht „denkt“ im menschlichen Sinne. Das reicht oft aus, solange die KI vorher mit Daten gefüttert wurde, die sinnvolle Antworten ermöglichen. Die dienstbaren Geister, die allzu häufig von Firmen im Netz auf Kunden losgelassen werden, bringen hingegen mehr Frust als Nutzen. Meine Laune verdunkelt sich jedenfalls immer erheblich, wenn mir der nächste „virtuelle Kundenbetreuer“ nicht weiterhelfen kann, sobald meine Frage nur minimal vom Standard abweicht! Oft wühle ich mich dann doch wieder endlos durch FAQ-Seiten oder recherchiere frei im Netz.

Halluzinationen und wichtige Standards

Wer mit einem Vollblut-Informatiker und Mathematiker spricht, erfährt Erhellendes. Der Kollege hat die Erfahrung gemacht, dass KIs umso stärker „halluzinieren“, desto fachlicher es wird und je länger der Text ist. Vor lauter Fabulieren werden Texte zunehmend „fantasievoller“, weichen von der Realität ab und erfinden Dinge, die so sein könnten – aber halt nicht der Wirklichkeit entsprechen. Ich habe selbst die Erfahrung gemacht, dass ich einen (sehr) langen Text zusammenfassen lassen wollte – und dann Programmfunktionen genannt wurden, die weder im Text noch im Programm zu finden waren. Es klang aber gut und schlüssig! Ebenso scheitern KIs, wenn etwas von der Norm abweicht. Der erwähnte Programmierer hat eine Software entwickelt, die mit künstlicher Intelligenz die Tiefe eines Bildes erkennt (also was auf einem Foto im Vordergrund bzw. hinten ist) und damit interessante Bildeffekte ermöglicht. Dreht man ein typisches Urlaubsbild aber auf den Kopf, versteht die KI nicht, dass nun der Himmel unten ist – und funktioniert nicht mehr. Sie wurde mit Bildern trainiert, die richtig herum waren, mehr kann sie halt nicht verarbeiten. Entsprechend versagen viele KI-Hilfen im Netz (oder als Zugabe von Programmen), sobald etwas Unerwartetes kommt.

Nicht jeder möchte, dass der Office Copilot mitliest Nicht jeder möchte, dass der Office Copilot mitliest

Das Top-Feature, das nicht jeden begeistert

Bereits wenige Tage, nachdem Microsoft im Januar seinem Office 365 die KI „Copilot“ spendierte, explodierten die Suchanfragen, wie man dieses „Top-Feature“ denn bitte deaktivieren oder gar deinstallieren könne. Datenschutzbedenken tauchten auf, man klagte über die mangelhafte Integration von Copilot in bestehende Arbeitsabläufe oder unzureichende Ergebnisse. Dass zukünftige MS-Office-Lizenzen inklusive Copilot dann auch noch massiv im Preis steigen werden, rundete den unglücklichen Release noch ab. Denn so stolz jede Firma auf „ihre KI“ sein mag – nicht jede wird gebraucht, gewollt oder gar bezahlt. Das angedachte Geschäftsmodell Microsofts, seinen Copiloten nebst Laptops mit dafür optimierter Hardware für diese Funktion zu verkaufen, dürfte wohl eher Spezialisten als die breite Masse interessieren. Wie bei jeder neuen Technik gilt es als chic, mit am Start zu sein – ebenso folgerichtig ist aber auch, dass man längst nicht alles nutzen mag, was auf einen einprasselt.

Qualität wird überleben

Je mehr künstliche Intelligenzen auf die Mitmenschen losgelassen werden, desto mehr merkt man, dass deren Nutzen höchst unterschiedlich ist. Braucht man an dieser Stelle überhaupt eine künstliche Intelligenz, reicht eine bloße Suchfunktion oder vielleicht nur die gute alte Rechtschreibkorrektur? Wurde die KI für diesen Zweck gut genug trainiert oder nervt sie den Kunden eher mit unpassenden Fragen, nichtssagenden Antworten und unpräzisen Angaben? Muss eine Firma in den sauren Apfel beißen und gar einen echten Menschen ans Telefon setzen, um ihre Kunden nicht zu vergraulen? Sicher stehen wir erst am Anfang einer großen, spannenden, manchmal furchterregend schnellen Entwicklung. KI wird zunehmend Einzug halten, ob der Einzelne es will oder nicht. Schon heute kann eine KI Hautkrebs auf Bildern finden, Statiken einer Konstruktion überprüfen oder Hunderttausende Seiten Text so verarbeiten, dass sie in einem Dialog verfügbar sind. Die Büchse der Pandora wird sich nicht wieder schließen, doch muss jeder KI-Einsatz wohlüberlegt werden – mit gesundem Menschenverstand.

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