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Bewerbung beim Psycho-Roboter

Sven Krumrey

Wenn man sich einen neuen Job sucht, ist man ja häufig schon auf Stress eingestellt. Bewerbungen müssen ein Muster an Korrektheit und Professionalität ausstrahlen, die ersten Gespräche sind Druck pur und Assessment-Center mit Rollenspielen und Tests können einem den letzten Nerv rauben. Fehlt eigentlich nur noch, dass ein Computer die Psyche beurteilt! Was ich nicht wusste: Auch das gibt es schon.

Der Wunsch vieler Firmen: Der perfekt durchleuchtete Angestellte

Wer sich heute bei einem großen Personaldienstleister bewirbt, schickt seine Bewerbung, hat ein Telefoninterview – soweit ist alles normal. Doch dem ersten Telefonat folgt ein zweites und der Anrufer ist in diesem Fall nicht menschlich. Eine künstliche, männliche Telefonstimme stellt unverfängliche Fragen, der Bewerber antwortet und gibt damit sein Einverständnis, dass ein Psychogramm auf dieser Grundlage erstellt wird. Die Inhalte sind dabei eigentlich egal, die Software ermittelt, wie er es sagt.

Während Grafologen schon lange im Ruf stehen, von der Schrift einer Person etwas über Charakter, Stärken und Schwächen eines Menschen ableiten zu können, sind nun Sprache und Software an der Reihe. Sprachanalysetechnologie ist das Zauberwort und lässt die Augen von Personalern leuchten. Ob Wortkombinationen, Satzstrukturen oder Tempo, alles wird verzeichnet und mit Referenz-Datensätzen verglichen. Referenz heißt hier, dass Menschen mit allen verfügbaren Mitteln und Tests bereits analysiert wurden – bis hin zu ihrer Sprache. Und mit der Sprache dieser Personen wird der Bewerber dann verglichen.

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Ist ein Bewerber zielorientiert oder doch eher unentschlossen oder gar psychisch instabil? Sagt uns der Computer und das – lt. eigener Aussage mit höchster Treffsicherheit. Motivation, mögliche Depressionen, mangelnde Ausgeglichenheit, alles wird erkannt und in einem komplexen Psychogramm verzeichnet. Der Hersteller Precire Technologies gibt sich rein wissenschaftlich, hochtechnologisch und hat einen beeindruckenden Stab von Wissenschaftlern um sich gesammelt, um dem Bewerber seine Geheimnisse zu entlocken. Doch wie verlässlich sind die Ergebnisse wirklich?

Bei allem Brustton der Überzeugung, der auf Hersteller-Seite verbreitet wird, noch fehlen neutrale, wissenschaftlich belastbare Vergleichsstudien. Dennoch ist das Interesse vieler Firmen groß, die Kundenliste schon jetzt durchaus namhaft. Zu verführerisch ist der Gedanke, durch eine Sprachanalyse vor unliebsamen Überraschungen durch die Mitarbeiter gefeit zu sein. Denkt man es weiter, sind die Einsatzmöglichkeiten beachtlich. Möchte man einen potentiellen Lebenspartner analysieren lassen, einen Versicherungsnehmer oder gar Kreditnehmer? Könnte ein verfeinertes Programm Menschen beim Lügen ertappen? Wo es doch schon jetzt komplexe Charaktere erkennen soll?

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Ich stelle es mir schwer vor, in einem solchen Gespräch zu brillieren. Mich würde auch mal interessieren, was das Ding als Ergebnis liefert, wenn man mittendrin die Marseillaise singt, Gedichte rezitiert oder einen spontanen Rap einflechtet. Das macht natürlich niemand, man will ja den Job. Als Bewerber ist man sowieso unter gewissem Druck, zudem ist der Computer ein eher unüblicher Gesprächspartner. Sicher ist die Aussicht, nun mehr oder minder freiwillig ein Psychogramm von sich abzuliefern, nicht gerade auflockernd. Ebenso denke ich an viele schlaue Kollegen, die überragend arbeiten, sprachlich jedoch nur wenig punkten. Ich selbst schreibe z.B. lieber, statt zu referieren. Welche eigentlich guten Mitarbeiter in so einem Szenario scheitern werden, mag ich mir kaum vorstellen.

Wenn es auch durchaus beeindruckend ist, welche komplexe Technik und wie viel Arbeit hinter diesem Projekt steht, ein leicht flaues Gefühl bleibt im Magen zurück. Von fehlerhaften Lügendetektoren bis hin zu Deutung des Aussehens, Handschrift oder Mimik haben sich viele Ansätze in der Geschichte als unzureichend erwiesen. Hier ist nun eine weitere Analyse-Methode, die durchaus den beruflichen Werdegang vieler Menschen beeinflussen könnte. Hoffen wir, dass sie funktioniert oder ausgemustert wird.

Was mich interessieren würde: Würden Sie mit einem Computer sprechen und so ein Psychogramm anlegen lassen, um den Job zu bekommen?

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