LIFE

Meine Zeit in der Echo-Kammer

Sven Krumrey

Wäre es nicht schön, wenn man immer recht hätte? Irrtümer können unangenehm bis peinlich sein, im schlimmsten Fall muss man Dinge ernsthaft überdenken. Anstrengend! Wie gut, dass man sich heute nicht mehr damit auseinandersetzen muss, denn soziale Netzwerke und die große Auswahl an Medien nehmen uns diese Bürde ab. Selbst wenn wir glauben, die Erde sei flach.

Willkommen zum Tunnelblick Willkommen zum Tunnelblick

Das Grundprinzip von Facebook und Co ist natürlich, dass wir Dinge sehen, die wir mögen. Das „Like“ ist die Grundwährung und auch das ganze System ist darauf ausgelegt, dass wir uns wohl fühlen und Leute mit ähnlichen Hobbies, Leidenschaften und – Ansichten finden. Das klingt wunderbar harmonisch und sorgt dafür, dass man schnell Seiten, Menschen und ganze Gruppen sieht, die zu einem passen. Diese Inhalte werden fortan bevorzugt angezeigt und weitere, ähnliche vorgeschlagen. Das sorgt dafür, dass man – wenn man denn möchte – schnell Gleichgesinnte findet.

Es sorgt aber auch dafür, dass Inhalte, die vielleicht andere Meinungen vertreten, weitgehend ausgeblendet werden oder nur kritisch kommentiert angezeigt werden. Man hat das Gefühl, automatisch recht zu haben und mit seiner Meinung Teil einer großen Bewegung, wenn nicht gar der Mehrheit zu sein, weil nur zustimmende Inhalte angezeigt werden. Experten nennen das Echo-Kammer und glauben, dass dieser Effekt durchaus für soziale Bewegungen und auch konkrete Wahlergebnisse sorgen kann.

Da ich zwar vieles glaube, was ich lese, aber lieber selbst ausprobiere, habe ich (sehen Sie es mir nach) ein Fake-Profil bei Facebook angelegt. Mit meinen Likes und dem Teilen von Beiträgen habe ich fix festgelegt, was ich für ein Mensch sein sollte. Ein ziemlich seltsamer. Ich glaubte angeblich, die Erde sei flach, Impfungen seien einzig eine Werbemaßnahme der Pharma-Industrie, ich verachte Vegetarier und gehöre einer politischen Richtung an, mit der speziell Deutschland mal sehr unschöne Erfahrungen gemacht hatte. Was dann folgte, hatte ich mir vorher schon ausgemalt – aber nicht so intensiv.

Rätselhaft viele Freundschaftsanfragen

Facebook entwickelte ein rasantes Eigenleben. Freundesanfragen von angeblich Gleichgesinnten (die sich von meinen haarsträubenden Ansichten angezogen fühlten), stapelten sich. Immer neue Links mit „Beweisen“ und „Fakten“ extremster Natur wurden mir von FB-Freunden, aber auch von Facebook selbst empfohlen. Und auch wenn ich alles natürlich kritisch gesehen habe, so wurde mir doch eines klar: Wessen Weltbild noch ungefestigt ist, wer nicht selbst gerne nachforscht und sich von Gruppendynamik mitreißen lässt, ist geliefert.

Hat Facebook erkannt, welche Ansichten man vertritt (in diesem Fall: mein Fake-Profil), bekommt man Stoff für ein Diplom in dieser Richtung. Und je mehr man davon liest, desto tiefer rutscht man in diese Bereiche hinein. Es ist ebenso faszinierend, wie beängstigend. Und plötzlich verstand ich auch, wie Extremismus und jene Radikalisierung per Internet funktionieren, von denen wir oftmals erst nach schweren Verbrechen lesen. Es ist ein mächtiger Sog, der sich ergibt. Und der Weg von Absonderlichkeiten zu Extremismus jeder Art ist kurz, oftmals nur einen Link entfernt. Und Youtube spielt da wunderbar mit.

Mein ebenfalls neu eingerichteter Youtube-Account lieferte sich ein Duett mit Facebook. Ständig wurden mir weitere Videos zu meinen favorisierten Themen vorgeschlagen, oftmals mit den verwegensten Inhalten. Wen Facebook nicht überzeugt – Youtube macht das schon. Selbst wenn ein Video durchgelaufen ist- das nächste, natürlich artverwandte Filmchen startet automatisch. Was komplett fehlte, waren gegensätzliche Beiträge zum Thema, bei Facebook wie von Youtube. Es wurden nicht nur Videos zu bestimmten Themen vorgeschlagen, auch der Tenor, die Grundaussage harmonierte wie die Propaganda einer gut organisierten Diktatur. So erhält man statt Information reine Indoktrination, eine Art Gehirnwäsche Light.

Viel Auswahl, ein Prinzip: Es muss gefallen

Und auch wenn man keine sozialen Netzwerke nutzt, entkommt man nicht unbedingt dieser Spirale. Denn auch andere Medien haben schon längst erkannt: Am meisten Erfolg hat man, wenn man das bringt, was gefällt, schockt oder emotional berührt. Und so sind auch Nachrichtenseiten und diverse Fernsehsender inzwischen auf eine Zielgruppe maßgeschneidert. Diese Programme sind zum Wohlfühlen gestaltet, zur Bestätigung des Zuschauers. Eine Richtung wird vorgegeben und vertieft, andere Meinungen werden gar nicht oder gleich kritisch kommentiert gesendet. Information geht anders, denn dort werden alle Seiten objektiv betrachtet.

Und so abonniere ich bewusst auch jene Seiten, die meiner Meinung widersprechen. Vielleicht finde ich dort gute Ideen und neue Ansätze? Oder man kommt in einen Dialog und spricht miteinander, statt übereinander? Sicher wäre es bequemer, immer nur bestätigt zu werden, doch kommt man so wirklich weiter? Also geht es raus für mich aus der Echo-Kammer, so nett und kuschelig sie auch sein mag. Die Leute mit der flachen Erde lasse ich dabei mal aus, das ist nun wirklich Unsinn.

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