Die Rückkehr des schwarzen Goldes
Man könnte ja den Eindruck gewinnen, dass alles immer digitaler konsumiert wird, auch die Musik. Schallplatten gehörten zu den ersten Opfern neuer Technik, zwischen 1988 und 1995 wurden die meisten Presswerke in Rente geschickt, das Personal verstreute sich in alle Himmelsrichtungen. Auf Flohmärkten wurden ganze Sammlungen zu Schleuderpreisen angeboten, als handele es sich Relikte einer primitiven, leicht peinlichen Zeit. Doch zum Erstaunen aller ist die Schallplatte nicht tot – und die Musikindustrie steht vor einer Frage:Wie ging das nochmal mit dem Vinyl?
Vielleicht erinnern Sie sich noch, wie man früher ehrfürchtig eine Platte aus der Hülle nahm, sie sorgsam auf den Plattenteller legte, bevor sich der Tonabnehmer-Tonarm sanft auf das schwarze Vinyl senkte. Je nach Alter der Platte knisterte es noch verheißungsvoll, bevor die Musik begann. Dieses Ritual endete bei den meisten Hörern, als die CD Einzug hielt. Ohne Abnutzung, transportabler, besser klingend – Sie kennen die Argumente der Medien und natürlich der Industrie selbst. Und während man im Rausch versuchte, die CD-Preise in ungeahnte Höhen zu treiben, blieb eines unbeachtet – Musik ist immer noch eine Sache des Herzens.
Als sich die Verfechter des Vinyls in Rückzugsgefechten befanden, entstand eine kleine Subkultur, die sich quer über Musik-Genres formierte. Liebhaber der harmonischen Verzerrungen, die für tolle Obertöne sorgten, Enthusiasten des sanften Clippings, das auch übersteuerten Live-Aufnahmen die Schärfe nahm, Freunde eines wärmeren Sounds. Auch ganz objektive Nachteile der CD wurden angemahnt, denn was geschah mit den tollen, großformatigen Kunstwerken, die Schallplatten zierten und deren Detailreichtum immer wieder beeindruckte? Sie schrumpften auf Bierdeckelgröße und wurden hinter ein Plastik-Fenster verbannt. Nicht wenige empfanden dies als Frevel.
Auch die Haltung zur Musik änderte sich und erreichte im Streaming den Exzess. Wenn ich will, kann ich mich heute problemlos den ganzen Tag gezielt berieseln lassen. Während ich z.B. diesen Blog schreibe: Kurz Spotify öffnen, unter dem Suchbegriff „Konzentration“ eine Playlist mit 229 Songs heraussuchen und schon bin ich volle 26 Stunden versorgt. Okay, so lange brauche ich für den Blogartikel nicht, aber eine handverlesene Geräuschkulisse wäre für den Fall da. Und genau dieser endlose Strom ist zwar komfortabel, nimmt aber der Musik auch ihren Wert. Für mehr als einen Tag ist es keine bewusste Entscheidung, welche Songs ich höre und ganze Alben, deren Songs erst im Zusammenspiel genial wirken, treten angesichts der Einzelstück-Armada in den Hintergrund. Doch die Zeit, in der nur Überzeugungstäter und DJs Schallplatten kauften, scheint vorbei zu gehen.
In England überholen Plattenverkäufe zuweilen die verkauften CDs. Schallplatten sind heute der einzige Tonträger, dessen Absatz zweistellig steigt. In Deutschland stieg der Verkauf 2016 auf 3,1 Millionen, eine Million mehr als im Vorjahr. Das Publikum ist dabei verblüffend jung, viele der Käufer dürften gerade ihre erste Schallplatte kaufen. Die Industrie stieg darauf ein und platzierte auch in Multimedia-Kaufhäusern eine Plattenecke. Doch wer soll all diese Platten pressen? Wer hier azyklisch investierte, verdient sich gerade eine goldene Nase. Denn sämtliche Plattenfirmen sind auf nur wenige Presswerke angewiesen, zumeist die letzten Überlebenden der großen Vinyl-Zeiten. Selbst das Knowhow ist begehrt, Sony sucht in Japan händeringend nach Mitarbeitern, die sich noch mit den alten Techniken der Master-Produktion auskennen. Ich würde zu gerne wissen, ob man einigen japanischen Rentnern gerade gut dotierte Verträge anbietet!
Liest man sich durch die Foren der Vinyl-Fans, findet man weniger verklärende Romantik. Es geht mehr um das Gefühl, etwas in der Hand zu haben, statt 4000 MP3 auf einen Stick zu laden. Viele nehmen sich durch die Schallplatten wirklich Zeit für Musik und erleben zum ersten Mal in ihrem Leben bewusst, dass es eine A- und B-Seite gibt. Die Cover werden mit großer Ernsthaftigkeit studiert, die Ausstattung mit Inlays oder die Schwere besonders hochwertiger Pressungen gelobt. Musik wird greifbar, im wahrsten Sinne des Wortes. Und letztendlich landen alle beim Subjektivsten, Mysteriösesten, Kontroversesten überhaupt – dem Sound. Hier wird über Frequenzumfänge, Kompressionsverluste und Dynamik diskutiert und das subjektive Erleben mit technischen Grundlagen verbunden. Viele kombinieren auch digitale Sounds und Schallplatten und haben gefühlt so zwei Arten, Musik zu hören, ein sympathischer Ansatz. Und auch wenn niemand ernsthaft annimmt, dass Vinyl wieder den alten Stellenwert einnehmen wird, bleibt doch eine Erkenntnis: Der Kunde hat im Endeffekt immer noch das Ruder in der Hand und den Zauber der Musik beherrscht keine Industrie und kein Marketing.
Was mich interessieren würde: Sind sie noch (oder wieder!) Schallplatten-Fan und landet bei Ihnen dann und wann schwarzes Vinyl auf dem Plattenteller? Oder halten Sie diese Leidenschaft gar für romantischen Unsinn?