LIFE

Machen uns die Nachrichten unglücklich?

Sven Krumrey

Stöbert man durch die Weiten des Internets, bringt einen Vieles zum Staunen, aber nur Weniges zum Nachdenken. Erwachsene, die sich Fellkostümen verlustieren, bizarre Schönheitsoperationen, der letzte Ernährungs-Hype oder selbsternannte Heilige, die das baldige Armageddon verkünden – kennt man schon alles. Wenn aber Menschen schreiben, sie würden nun keine Nachrichten mehr schauen, weil sie es schlicht nicht mehr ertragen können, macht mich das nachdenklich. Denn eines ist klar: Mit dem Internet hat sich die Nachrichten-Landschaft verändert und wir müssen lernen, damit umzugehen.

Immer aktuell, 24 Stunden am Tag

War früher alles einfacher? Wenn es um Nachrichten ging, war das wohl so. Es gab in meiner Jugend die Tageszeitung, die lokale und internationale Nachrichten in aller Knappheit verbreitete und über lokale Sensationen wie Pudelzüchter-Treffen berichtete. Abends gab es die Nachrichten im Fernsehen, grob eine Viertelstunde in einem sachlichen, hochseriösen Ton. Man wusste grob, was auf der Welt los war und ging sonst seiner Wege. Stand nicht gerade ein großer Krieg an oder die Wirtschaft drohte massiv zu kollabieren, sorgte das Gezeigte selten für Aufregung. Passierte etwas Schlimmes in einem fernen Land, so blieb es eher eine Randnotiz, meistens nur spärlich bebildert. Alles kam zeitverzögert, journalistisch aufbereitet und häufig mit dem beruhigenden Unterton, dass alles doch Tausende Kilometer weg sei.

Heute ist nichts mehr weit weg. Selbst wenn am anderen Ende der Welt etwas passiert, filmt es irgendwer mit dem Handy und ein paar Minuten später kommen die ersten Meldungen über die Ticker. Man sieht Elend und Verzweiflung in bewegten Bildern, Augenzeugen berichten vor Ort und die Sicht auf die Welt wird eine andere, selten eine positivere. Aus aller Herren Länder gelangen Ereignisse in die Schlagzeilen und rangeln um unsere Aufmerksamkeit. Und da für Medien Aufmerksamkeit (und damit Klicks) bares Geld ist, wird der Ton immer schriller und lauter. Wer mag, kann Stunden durch die Nachrichten scrollen und sich News aus aller Welt anzeigen lassen – doch wie fühlt man sich danach und was bringt es einem? Nach einer Stunde Lektüre empfindet man oftmals Ohnmacht bis Wut.

Die Welt rückt zusammen, auch in den Nachrichten Die Welt rückt zusammen, auch in den Nachrichten

Manche Menschen wollen das nicht mehr. Sie berichten, wie sehr sich ihr Leben verdüstert, wie sie sich verwirrt und manipuliert fühlen. Das klingt dann nicht nach Desinteresse, sondern nach Notwehr. Sie schildern derbe Stress-Symptome, Nervosität und Zukunftsängste und bestärken sich gegenseitig, keine Nachrichten mehr zu schauen. Wie in einer Drogen-Selbsthilfegruppe erzählen sie von dem schweren Gang, „clean“ zu werden und mit alten Gewohnheiten zu brechen. Sie schildern das Unverständnis ihres Umfelds und die Tricks, die Infotafeln in Bahnhöfen und das gemeinsame Schauen der Nachrichten mit der Familie zu umgehen. Haben sie es geschafft, erscheint ihnen das Leben oftmals freier, unbeschwerter und entspannter. Mehr freie Zeit, der bewusste Rückzug ins Private und eine gesundere Psyche sind der Grundtenor ihrer Schilderungen. Auf den ersten Blick klingt das sehr idyllisch.

Aber könnte ich so leben? Über was könnte ich mich unterhalten, wenn ich Freunde und Familie treffe? Wie erfahre ich, was lokal geschieht, also auch Dinge, die mein Leben direkt beeinflussen könnten? Wen sollte ich wählen, wenn ich über Politik nicht mehr informiert wäre? Den technischen Bereich müsste ich ja lesen, sonst könnte ich bei Ashampoo schnell meine Papiere holen. Aber sonst? Ich kann mir durchaus vorstellen, dass ich so / auf dieser Weise ein paar beschauliche Wochen hätte. Kein Gedanke an korrupte Politiker weltweit, keine Klima-Katastrophen, keine Gräueltaten - ein gutes Buch würde es auch tun. Doch wie lange hält man dies durch? Könnte ich auf Fachbücher umschwenken, die alles nur im Rückblick erklären und analysieren? Das wäre so, als würde ich beim Fußball immer nur den Jahresrückblick sehen: ziemlich unbefriedigend.

Mehr Gelassenheit wagen Mehr Gelassenheit wagen

Es wäre langfristig unerträglich für mich. Goethe schrieb schon von dem Erkenntnisdrang des Menschen in „Faust“ und mir geht es nicht anders. So bleibe ich stets informiert, habe mir aber ein paar Einsichten hinter die Ohren geschrieben, die ich beherzigen will.

  1. Nachrichten spitzen zu, um gelesen zu werden. Längst nicht alle Krisen und unheilvolle Entwicklungen führen zu den Katastrophen, wie sie im Text beschrieben werden.

  2. Nachrichten berichten selten, wenn es etwas gut funktioniert. „99,8 % haben keine Probleme mit ihren Internet-Anbietern“, ist keine Schlagzeile. „Hunderte ohne Internet“, macht hingegen neugierig. Dies verzerrt aber das Bild von der Realität.

  3. Stars und Royals sind völlig egal. Wenn die berühmte Frau mit dem riesigen Hintern eine Schlagzeile macht, kann es nicht wichtig sein. Das Nicht-Lesen spart Zeit.

  4. Nachrichten sind immer nur ein Ausschnitt. Viele Nachrichten wollen nur für Emotionen und Aufsehen sorgen. Scheint etwas unverständlich oder verstörend, schaue ich mir die Hintergründe an.

  5. Nachrichten sind häufig fehlerhaft oder parteiisch. Nachrichten werden von Menschen gemacht, die oft unter Zeitdruck stehen oder eine politische Einstellung aktiv vertreten. Wird immer dasselbe Lager bejubelt, bin ich vorsichtig.

  6. Nachrichten kommen oft zu schnell. Alle wollen aktuell sein, da hagelt es Falschinformationen und es fehlen Hintergründe. Am Tag danach sieht manches anders aus.

  7. Jeder kann Nachrichten verbreiten. Speziell in sozialen Netzwerken steht unglaublich viel Unsinn. Darüber kann man sich aufregen, das macht aber nur schlechte Laune.

  8. Morgen ist auch noch ein Tag. Artet die Lektüre in Stress aus, schalte ich aus. Man kann alles später nachlesen.

Jetzt wissen Sie, wie ich in Zukunft die Nachrichten betrachten möchte. Vielleicht bringt es mir mehr Ruhe und Gelassenheit. Wäre es für Sie eine Option, für den Seelenfrieden auf Nachrichten zu verzichten? Wie gehen Sie mit der Nachrichtenflut um?

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