Das magische Auge – Google Lens
Nur selten hat man bei der erstmaligen Nutzung einer App das Gefühl, etwas Wichtiges zu testen. Die meisten Programme sind nett, haben irgendeinen Vorteil, aber allzu schnell verschwinden sie wieder in der Versenkung – und von meinem Handy. Das trifft sogar auf Google zu, die immer wieder etwas auf den Markt bringen, was morgen bereits vergessen sein wird. Google Lens, das seit ein paar Tagen für Android und iOS erschienen ist, könnte hingegen Einzug in den Alltag vieler Menschen halten. Grund genug, das Programm für Sie zu testen!
Google Lens (GL) ist Teil des Google Assistenten und war anfangs nur auf den Google-eigenen Handys verfügbar. Nun wird die Funktion auch als einzelne App (ab Android 5.0) oder als Teil von Google Photos (für iOS) angeboten. Die Funktionsweise muss man sich so vorstellen: Die App hat Zugriff auf die Kamera und erkennt auf Fotos oder dem Livebild der Cam Gegenstände, Gebäude, Pflanzen, etc. Wenn Sie etwas interessiert, tippen Sie es mit dem Finger an und schauen dann mal, was GL findet. Was sich etwas dröge anhört, bekommt durch die vielfältigen Informationen von Google durchaus Sinn. Nur ein Beispiel: Als ich ein Buch fotografiere, werden nicht nur Autor und Titel genannt, mir werden auch gleich Rezensionen, Verfilmungen und natürlich Bezugsmöglichkeiten genannt. Zudem kann ich es auch gleich als Hörbuch über Spotify aufrufen. Weiterhin gibt es eine Schnittstelle zu anderen Apps, die ich installiert habe (wie Zeitschriften, YouTube, etc.) und auch hier werden mir passende Ergebnisse wie Berichte oder Videos angezeigt. Auch der Eiffelturm wird auf einem Bild erkannt und gleich mit Öffnungszeiten und Eintrittspreisen kommentiert. Gar nicht mal schlecht!
Netterweise hat Google Lens auch einen Sinn für Kunst und kann Gemälde oder Skulpturen erkennen und dazu Informationen liefern. Auch Barcodes können problemlos gelesen werden, hier macht man gleich eine ganze App-Palette überflüssig. Da aber nichts über Praxis geht, nehme ich die App mal auf einen Rundgang durch meine Wohnung. Auf zum Klamottentest! Unter leisem Protest plündere ich den Kleiderschrank meiner Freundin und lichte zehn Kleidungsstücke ab. Schnell zeigt sich: Was größere Marke ist, wird schnell erkannt, es erscheint auch gleich die Möglichkeit zum Nachkaufen oder vergleichbare Teile. Interessant wird es, wenn man Google Lens eine Visitenkarte hinhält. Die wird sofort erkannt und ein neuer Kontakt kann ohne weiteres Eintippen erstellt werden. Das macht Sinn! Beim Anblick von Blumen wird die App zu einem kompetenten Naturfreund. Bei den Pflanzen meiner Wohnung werden immerhin 5 von 8 Exemplaren erkannt, selbst eine genaue Unterscheidung wie bei der Eichenblättrigen Hortensie gelingt bei meinem Exemplar. Auch von Hunden hat GL gewisse Ahnung, einige Rassen werden durchaus erkannt, nur bei der Promenadenmischung meiner Nachbarin ist die App ratlos. Immerhin weiß sie: Es ist ein Hund, von seiner immensen Lautstärke und Neigung, nach meinen Waden zu schnappen, ahnt GL zum Glück nichts.
Als ich einen Kollegen aus der Testabteilung fotografiere, meint die App „Tut mir leid, ich weiß nicht, wie ich ihnen helfen kann.“ Genau das denke ich auch immer, wenn ich ihn sehe! Aber zurück zum Thema: Die App ist noch längst nicht perfekt. Nicht nur, dass sie auf manchen Smartphones gar nicht funktioniert, vieles wird gar nicht oder falsch erkannt oder man muss Glück haben, mit dem Finger auf den Punkt des Bildes zu tippen, der besonders aussagekräftig ist. Oftmals sind die Ergebnisse auch schlicht wunderlich. Ein eher zufällig von meinem Balkon geschossenes Foto soll angeblich an ein ziemlich heruntergekommenes Restaurant in Mumbai, Indien, erinnern. Wenn das die Nachbarn hören! Ebenso spielt es eine große Rolle, aus welchem Winkel etwas abgelichtet wird oder welche Form es hat. Ein Etikett auf einer Flasche macht Schwierigkeiten, weil die Oberfläche zylinderförmig ist, da könnte man schlauer analysieren. Manche Informationen sind auch einfach sinnlos: Wenn ich ein Spielzeug fotografiere und dann lese, es würde sich wahrscheinlich um ein Spielzeug handeln, so hat das schlicht keinen Mehrwert. Dieses Modell ist wohl nicht in der Datenbank verzeichnet, ein Schicksal, welches es sich mit vielen älteren Büchern teilt.
Es fehlt halt noch einiges zur Super-App. Straßenschilder mit ausländischen Schriftzeichen lassen Google Lens noch etwas ratlos zurück (hier hatte ich mir mehr erwartet) und allzu häufig scheint die App einfach zu raten und bringt eher frustrierende Ergebnisse. Auch im Bereich der Text-Erfassung bzw. -Übersetzungen scheint noch manches zu haken, entweder weiß GL gar nichts damit anzufangen oder übersetzt nur einzelne Worte. In den Werbevideos der App sah das anders aus. Das Ergebnis „er sollte sein“ beim Anblick eines Gartenstuhls ist zwar irgendwie poetisch, aber ebenso eigentümlich. Handschriftliches scheint dem Programm ebenso rätselhaft, schade! Manche Produktbereiche scheinen auch noch nicht eingepflegt zu sein. Während es im Bereich Mode oder Auto klappt, wird bei jedem Radio, Kopfhörer oder Blu-ray-Player nur „Audio“ angezeigt, das ist etwas wenig. Denkt man aber an Google Maps, das anfangs auch eher ein Ärgernis war, und sich noch erheblich entwickelte, so erwarte ich noch einiges von dieser App! Der Einsatz für sehbehinderte Menschen wäre hier ein Ansatz, ebenso für notorische Nicht-Tipper oder jene, die allgemein ihre Schwierigkeiten mit der Bedienung von Handys haben.
Früher ein Graus, heute durchaus nützlich: Google Maps
Sie fragen, welche Berechtigungen es braucht? Wir sprechen von Google! Im Ernst, natürlich braucht die App weitgehende Berechtigungen, was in diesem speziellen Fall für mich auch nachvollziehbar ist. Wenn man GL wie einen Assistenten nutzen will, muss der Zugriff auf Kamera, Internet, Kontakte, usw. bestehen. Was die ebenso geforderten Sprach- und Audiozugriffe sollen, verstehe ich allerdings weniger, vielleicht kommen diese Funktionen aber noch. Auch hier muss jeder für sich selbst abwägen, ob man die App nutzen will. Skeptiker mutmaßen schon, Google wolle uns die letzten Geheimnisse des Alltagslebens entreißen, andere hingegen loben die enormen Möglichkeiten des Programms und sprechen schon von einer wahren Revolution im Bereich Smartphone. Ich sehe es, wie immer, etwas nüchterner, denke aber: Diese App wird von vielen Menschen gerne genutzt werden und nicht die letzte ihrer Art sein!
Was mich interessieren würde: Würden Sie Google Lens einsetzen? Oder macht es für Sie keinen Sinn und es graut es Ihnen davor, Datenkrake Google weiter zu füttern?