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Wer beklaut hier wen? Der ewige Ärger mit dem Urheberrecht

Sven Krumrey

2012 war das französische Département Dordogne richtig sauer. Ein Verlag hatte Abbildungen der Höhlenmalereien von Lascaux veröffentlicht und Dordogne pochte auf die Einhaltung des Copyrights. Nachdem der Richter seinen Lachkrampf überwunden hatte, erklärte er, dass 17000 Jahre alte Malerei kaum geistiges Eigentum einer Gemeinde sein könnte und klappte die Akte zu. Ähnlich unverfroren gehen heute zahlreiche Verbrecher im Internet vor und versuchen mit Druck auf unbedarfte Nutzer und klaffenden Gesetzeslücken Geld zu scheffeln. Man spricht hier von Copyfraud (von engl. copy ‚Kopie‘; fraud ‚Betrug, Fälschung, Schwindel‘).

Kannten Urmenschen schon das Copyright?

Wer Videos ins Internet stellt, kann die Bekanntschaft mit unangenehmen Zeitgenossen machen. Ein Bekannter hatte seinen Urlaub in bewegten Bildern festgehalten und nicht einfach einen bekannten Popsong zur Untermalung genommen. Er wählte bewusst Musik aus dem Public Domain-Bereich, die zur freien Nutzung freigegeben ist. Kurze Zeit später bekam er Post von YouTube, „Soundshare GM“* beanstande das Video aus urheberrechtlichen Gründen, weil dieser Firma der Song gehöre. Als er dagegen Einspruch erhob, wurde dem stattgegeben und mein Bekannter genoss die trügerische Ruhe. Denn ein paar Tage später waren es gleich zwei Parteien, die angeblich die Rechte für die Musik besäßen.

Man legte ihm nahe, er könne doch als Ausgleich Werbung in seinem Video schalten, deren Geld dann an die Firmen ginge, als eine Art von Kompensation. Als er wiederum Einspruch einlegte (als Medienprofi war er sich seiner Sache sehr sicher), zogen auch diese beiden Parteien ihre urheberrechtlichen Ansprüche wieder zurück und er konnte sein Video unverändert auf der Plattform lassen. Die Folgen für die drei Betrugsversuche: Null. Erst wenn der Beklagte vor Gericht nachweisen kann, dass er dadurch Schaden erlitten hat, kann der Kläger dafür haftbar gemacht werden. Aber einfach mal zu versuchen, andere Menschen zu betrügen und unter Druck zu setzen, bleibt allgemein folgenlos.

Was ich zuerst als Einzelfall abtat, entpuppte sich während der Recherche als ein groß angelegtes Geschäftsmodell. Und das funktioniert so: Unter dem Namen „Content ID“ bietet YouTube einen Service, wo sich Rechteinhaber anmelden können. Dort laden die Firmen ihre Songs als Referenz hoch und Youtube vergleicht nun bei jedem Video, ob die Musik geschützt ist. Filme ich z.B. meinen Chef und unterlege das Video mit der Musik vom „König der Löwen“, mag das zwar inhaltlich sehr wohl passen, bedeutet aber eine Urheberrechtsverletzung. Der Rechteinhaber (in diesem Fall Universal Music) bekommt Bescheid, dass in meinem Video eines seiner Lieder genutzt wurde und kann sein Veto einlegen. Universal hätte dann die Möglichkeit, die Zugriffszahlen für das Video einzusehen, um zu entscheiden, ob das Video gelöscht oder Werbung zu ihren Gunsten geschaltet wird. Schaut das Video keiner, ist man manchmal kulanter.

Das Objekt der Begierde : YouTube-Werbeeinnahmen

Was bei diesem Beispiel sinnvoll klingt, hat in der Praxis so seine Tücken. Denn mit dem System ist Missbrauch Tür und Tor geöffnet. Im Falle meines Bekannten hatten Betrüger vorgegeben, Inhaber eines ungeschützten Songs zu sein. Youtube prüft das nicht (oder unzureichend) gegen. Und so können vermeintliche Rechteinhaber massiv Kasse machen. Viele Menschen, die einfach mal ein Video hochladen, sind massiv verunsichert, wenn sich Content ID wegen einer Urheberrechtsverletzung bei ihnen meldet. Allzu schnell stimmen sie zu, dass der angebliche Rechteinhaber fortan das Geld für die Werbung einsacken darf. Besser man bekommt kein Geld, als möglicherweise verklagt oder gelöscht zu werden. Dabei werden die Betrüger nicht durch ein Video reich, die Masse macht es. Insider gehen davon aus, dass durchaus ein Drittel der YouTube-Werbeinnahmen durch Content ID abgeführt wird. Wie groß da der Anteil an Betrügern ist, bleibt bloße Spekulation. Hier von einem Milliardengeschäft zu sprechen, klingt jedoch realistisch.

So bleibt der einfache Nutzer, der nur mal ein Video hochladen wollte, um andere zu erfreuen, mit dem Schwarzen Peter sitzen. Viele knicken ein, beugen sich den digitalen Drückerkolonnen und geben so Werbegeld an ominöse Firmen ab. YouTube lehnt sämtlich Verantwortung dafür ab, die tatsächliche Rechtefrage zu klären. Man sieht sich als Übermittler, verweist auf seine Algorithmen die ja Übereinstimmungen zuverlässig aufzeigen und auf die Möglichkeit der Nutzer, Einspruch einzulegen. Die Gesetzgeber sind hingegen schlicht überfordert, anders kann man es nicht ausdrücken. Sie stolpern den aktuellen Streitfragen um Jahre hinterher, verstehen oftmals technische Zusammenhänge nicht und bringen nur ab und zu eine Einzelfallentscheidung zustande. Solange diese Betrüger aber nicht verfolgt werden, wird sich an dieser Praxis nichts ändern. Mir scheint, dass oftmals erst erheblicher gesellschaftlicher Druck nötig ist, bevor effektiv gehandelt wird.

Was mich interessieren würde: Finden Sie auch, dass sich das Recht viel schneller und flexibler an den technischen Wandel anpassen sollte? Sollten die Bürger nicht auch dann geschützt sein, wenn bestimmte Vergehen nicht schon seit vielen Jahren existieren?

*Name geändert

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