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Tidal: Die bessere Alternative zu Spotify?

Sven Krumrey

Musik-Veteran Neil Young sieht im Alter nicht nur etwas grummelig aus, er ist auch bekannt für klare Ansagen. Zu musikalischen Streaming-Angeboten hat er natürlich auch eine Meinung – die allermeisten sind nichts für ihn. In mehreren Interviews bemängelte er, die gängigen Anbieter würden nur einen höchst mäßigen Sound anbieten. Was er damit meinte: Die meisten Streaming-Anbieter haben nur verlustbehaftete Formate wie wie AAC, MP3 oder Ogg Vorbis im Angebot, die zwar recht gut klingen, aber nicht das volle Hörerlebnis bieten. Mit Tidal ist ein noch nicht so bekannter Konkurrent am Start, der hingegen mit High Fidelity punkten will. Grund genug, einen Blick auf das Angebot zu werfen!

Mehr Hi-Fi im Musik-Streaming mit Tidal

Bei Tidal geht erst mal nichts ohne das Internet, man braucht also einen Computer (Windows oder MAC), ein Handy (ab Android 4.4 / ab iOS 8) oder einen internetfähigen Media Player. Für den PC gibt es eine recht schmucke App als Download, man kann natürlich auch über den Browser Musik abspielen. Die Android-App kommt mir äußerst bekannt vor, kein Wunder! Hier hat man sich wohl allzu großzügig bei Spotify bedient. Wer vorher mal den schwedischen Branchenführer auf dem Handy hatte, wird sich schnell zurecht finden. Ziemlich dunkel und mit vielen Kontrasten gestaltet, kommt man intuitiv auf seine Funktionen, die Lesbarkeit ist auch bei Sonnenlicht okay. Wer auf dem Touchscreen nicht zu grobmotorisch unterwegs ist, klickt sich munter durch das Angebot. Die Windows-App für den PC ist ebenso passabel, alles wirkt hier noch etwas aufgeräumter. Es macht durchaus Spaß, sich durch die Menüs zu klicken und die Möglichkeiten zu entdecken.

<Während anfangs über Tidal kritisch angemerkt wurde, man würde dort einfallslos „nur Musik anbieten“, hat man schnell nachgebessert. Unmengen von Playlists, Titelvorschlägen, Charts, Genres und Neuerscheinungen tummeln sich auf der Oberfläche. Man merkt, dass eine große und durchaus fachkompetente Redaktion hier ihren Dienst verrichtet. Hat man einen Song oder ein Album abgespielt, kommen zumeist sinnvolle Empfehlungen, womit man fortfahren könnte. Ist „Automatische Wiedergabe“ (Autoplay) aktiviert, dudelt die App ganz manierlich durch den Tag, ohne dass größere Ausfälle zu erkennen sind. Playlists lassen sich schnell erstellen, nach einiger Nutzungsdauer wird sogar ein persönlicher Mix angeboten, der auf den bisher angehörten Songs basiert und andere, passende Lieder hinzufügt.

Das Angebot von Songs und Hörbüchern ist riesig. Über 60 Millionen Tracks lassen keine Wünsche offen, Spotify hat hier „nur“ 50 Millionen. Selbst meine üblichen Verdächtigen von Kleinst-Bands, Exoten und uralten Songs werden ausnahmslos gefunden. Ob isländische Musiker wie Hilmar Örn Hilmarsson, die mongolischen Rocker Yat-Kha oder der moderne Klassiker Arvo Pärt, alle sind am Start, die ganz Großen im Business selbstverständlich auch. Dass allerdings 10 Millionen Songs mehr als bei Spotify am Start sind, habe ich nicht gemerkt, beide Angebote sind schlicht gigantisch. Tidal hat zudem noch 240.000 Musik-Videos am Start, die vor allem eine jüngere Zielgruppe ansprechen dürften. Vielleicht sucht man sich hier ein zusätzliches Medium, nachdem das Musik-Fernsehen ins Hintertreffen geraten ist.

Ohne gute Wiedergabe-Geräte geht nichts

Einfach mal unterwegs Songs über die mobile Daten zu ziehen, ist durchaus etwas abenteuerlich. Denn die Tracks sind im HiFi-Format wirklich groß! Bei viereinhalb Minuten Spielzeit kam ich auf grob 40 Megabyte Größe! Da braucht man auf Dauer einen Mobil-Vertrag, der sich gewaschen hat oder muss von einem WLAN zum nächsten hechten. Im Vergleich: Derselbe Song in AAC 320 KBit/s (bei vielen Anbietern die beste Qualität) ist gerade mal ein Viertel so groß, in YouTube-Qualität grob ein Achtel. Man kann sich vorher natürlich auch per WLAN seine Songs herunter laden, um sie später zu hören, aber auch hier bemerkt man schnell, wie gigantisch die Datenmengen plötzlich werden. Wer vorher immer seine 100 Lieblings-Alben auf dem Handy hatte, könnte nun seine Probleme bekommen.

Aber kommen wir zum Herz von Tidal, zu der HiFi Soundqualität. Unter Windows, Android und Linux wird dazu der bewährte Free Lossless Audio Codec (FLAC) genutzt. Unter iOS und macOS kommt ALAC (Apple Lossless Audio Codec) zum Einsatz, beide Formate sind verlustfrei und etabliert in der HiFi-Szene.

Ob man den Unterschied zwischen Standard und HiFi hört? Jawohl! Man kann bei Tidal die Streaming-Qualität innerhalb eines Songs umstellen, um so einen direkten Vergleich zu bekommen. Tidal bietet High (was 320 KBit/s entspricht) und HIFI an, was ich gleich im Wechsel ausprobiere. John Williams´ „Harry Potter“ ertönt auf HiFi in allen Details plötzlich glasklar aus den Boxen, ebenso wie „Music For Airports“ von Brian Eno oder „The Very Best Of The Alan Parsons Project“. Da ich gerade Home Office mache, habe ich zum Testen nur eine Teufel 5.1 Anlage und eine Harman Kardon-Stereoanlage zur Hand, aber auch die klingen mit voller Streaming-Qualität, als hätte man der Musik einen Schleier entrissen. Das Seltsame ist: Solange man den Vergleich nicht hat, vermisst man nichts. Gewöhnt man sich dran, erkennt man den Verlust in dem Begriff „verlustbehaftetes Format“.

Damit exzellente Boxen wieder ausgereizt werden können

Ganz klar: Wer gern seichtem Pop über 20€-Kopfhörer lauscht oder Musik nur als Hintergrundbeschallung nutzt, kann sich das Geld locker sparen. Vielen Musikfans reichen die üblichen 320 kbps locker aus, selbst mit YouTube (liegt maximal bei 192 KBit/s im Format AAC) sind die meisten schon zufrieden. Ebenso logisch: Ohne entsprechendes Sound-System kann man selbst mit der bestmöglichen Qualität wenig reißen. Wenn ich meine billigen Bluetooth-Kopfhörer einstöpsele, ist der Unterschied kaum zu erahnen, bei den Sennheiser RS195 sieht das ganz anders aus. Auch spielt natürlich die Musik selbst und deren Aufnahmequalität eine große Rolle. Moderne Popmusik ist so konzipiert und produziert, dass sie auch aus dem Küchenradio und über den billigsten Kopfhörer vernünftig klingen soll. Alte Aufnahmen wie frühe AC/DC klingen auch über leicht ranzige Soundsysteme absolut authentisch. Eine gute Orchester-Aufnahme oder auch opulente Rock-Klassiker wie Queen trumpfen hingegen mit vielen, oft gleichberechtigten Tonspuren auf. Verlustbehaftete Formate beschneiden solche Songs, je nach Größe und Qualität mehr oder weniger. Eindeutig zu viel für Neil Young und viele audiophile Fans!

Natürlich hat alles seinen Preis und der ist üppig! Im Gegensatz zu Spotify gibt es keine Gratis-Variante, vielleicht mochte man sein gefühltes Premium-Angebot nicht mit Werbesports verunzieren. TIDAL Premium (mit 320 KBit/s AAC) kostet 9,99 Euro pro Monat und ist damit vergleichbar mit Spotify Premium oder Apple Music, die HIFI-Variante landet bei üppigen 19,99€, was gefühlt schlicht zu teuer ist. Musik-Streaming, das pro Monat grob so viel kostet, wie z.B. Netflix und Amazon Prime zusammen, ist schon gewöhnungsbedürftig. Bedenkt man dann auch noch, dass Amazon mit seinem Music Unlimited ein ähnliches Angebot in High-Definition-Qualität (16 Bit und 44,1 kHz, also Audio-CD-Qualität) für nur 12.99€ am Start hat, wundert man sich doppelt.

Das Fazit ist daher zwiespältig. Tidal bietet ein qualitativ hochwertiges Gesamtpaket. Apps, Song-Angebot, redaktionelle Leistung, alles ist durchdacht und vermittelt durchaus ein gutes Gefühl. Die Standard-Qualität bekommt man aber bei anderen Anbietern ebenso und die HiFi-Variante ist im Vergleich wohl zu teuer für die Masse. Wer sich nicht sicher ist, sollte sich einen kostenlosen Probemonat gönnen, es sind auch immer wieder stark reduzierte Sonderaktionen zu finden.

Was mich interessieren würde: Wäre ein Streaming-Angebot wie Tidal interessant für Sie? Nutzen Sie Musik-Streaming überhaupt?

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