Ein Gratis-VPN für Edge? Nicht so ganz!
Microsoft spendiert dem Edge ein VPN, so rauschte es kürzlich durch die News. Natürlich meldeten sich gleich erste Zweifler. Wieso sollte Microsoft so etwas machen? Könnten die Redmonder über ihren Schatten springen und einfach im Sinne der Nutzer etwas wirklich Sinnvolles veröffentlichen? Auch wenn man möglicherweise damit seine heißgeliebten Werbeprofile verwirren und den Kunden sogar noch helfen könnte, Geld zu sparen? Gut, das klang mir dann doch etwas zu phantastisch, also musste ich recherchieren. Und siehe da, die Wohltäter sind nur mäßig spendabel.
Wenn es eines gibt, das durch die IT-Welt wie ein Running Gag irrt, ist es Microsofts Bemühen, seinen Edge-Browser unters Volk zu bringen. Ob mit flehentlichen Info-Boxen, wenn man einen anderen Browser installieren will, „zufällig“ geänderten Standardeinstellungen nach Updates oder dem plumpen Versuch, Edge als „Systembrowser“ zu etablieren, es wird überall versucht. Auch wenn viele Firmenrechner der Einfachheit halber Edge als Standard haben, kommt man auf keine 8% Verbreitung. Was Microsoft da an Marketingpower, Nutzerstatistiken und natürlich Renommee durch die Lappen geht, muss unendlich schmerzen. Dieses Mal versucht man es wieder mit Zuckerbrot, das aber streng rationiert!
"Edge Secure Network" nennt sich Microsofts neustes VPN-Angebot, welches sich gerade noch in der Testphase befindet, also nur bei wenigen, ausgewählten Kunden zu finden ist. Interessant: Man vermeidet aktuell dabei den Begriff VPN bewusst, denn der Service beschränkt sich allein auf den Edge-Browser. Es ist also weder der komplette Rechner mit anonymer IP unterwegs, noch z.B. andere Apps oder Browser. Man soll nur den Edge nutzen, bitteschön! Microsoft kooperiert dabei mit dem US-amerikanischen Unternehmen Cloudflare, das im Bereich Internetsicherheit und DNS-Dienste schon lange erfolgreich auf dem Markt ist. Was dort gerade noch getestet wird, landet wohl noch in diesem Jahr per Sicherheitsupdate auf unseren Windows-Rechnern.
Nutzt man aber den Edge mit Secure Network, verspricht Microsoft eine Verbesserung von Sicherheit und Privatsphäre. Provider und Seiten könnten so nicht mehr Daten zum Online-Verhalten der Nutzer sammeln, der VPN-typische Tunnel würde auch bei http-Seiten ohne Verschlüsselung ein Mitlesen unmöglich machen und den Datenverkehr in unsicheren WLANs absichern. Es fragt sich hier nur, welche Daten Microsoft (als gleichzeitiger Produzent / Bereitsteller von Betriebssystem, Browser und VPN!) für sich herauszieht. Angeblich soll es sich nur um Informationen zu Analysezwecken handeln, die täglich gelöscht würden. Skeptiker vermissen die Auskunft, ob man die Daten vor dem Löschen noch verarbeitet. Ohnehin: Ohne einen Login ins Microsoft-Konto soll man ganz draußen bleiben, für Datenschutz-Puristen wohl keine Option.
Also einfach nach dem Release des Services "Edge Secure Network" aktivieren und unbeschwert lossurfen? Es sieht nicht so aus. Denn aktuell gibt es ein kostenloses Datenvolumen von gerade einem Gigabyte! Und wer mal einen gemütlichen Abend mit YouTube, Nachrichten oder Streaming verbracht hat, weiß, wie schnell 1 GB verbraucht ist. Praktisch jeder Handy-Tarif, der auf regelmäßige Nutzung angelegt ist, bietet mehr. Daher scheinen zwei Optionen logisch: Microsoft bietet den Service als Anreiz zur Edge-Nutzung und nur zur gezielten Nutzung an – oder man will später munter Abos abschließen, Volumenpakete verkaufen und durch die Hintertür zum VPN-Händler werden. Stand jetzt, steht man hinter z.B. Opera zurück, die ein ähnliches Angebot gänzlich ohne Nutzungs-Limits anbieten.
Experten lässt das alles etwas ratlos zurück. Wenn man wirklich den Edge-Browser pushen will, wieso setzt man das Limit auf lächerliche 1 GB? Und strebt man an, im großen Stil VPN zu verkaufen, wieso nutzt man die doch sehr limitierte Browser-Lösung, statt den ganzen Rechner sauber über VPN zu schützen? Das ist, als würde ein Auto ein tolles Bremssystem haben und es nur an einem Wochentag oder für eine bestimmte Strecke aktivieren. Als Anbieter des Betriebssystems Windows gäbe es so viel elegantere und umfassendere Lösungen und Möglichkeiten, diese Sicherheitssysteme zentral zu verankern. Wie will man mit den Anbietern konkurrieren, die Hunderte Server in aller Welt verteilt haben und mit zahlreichen Zusatzoptionen locken?
Der MS-Blog sorgt für weitere offene Fragen. Man spricht davon, dass die eigene IP versteckt wird, indem man eine „ähnliche, regionale Adresse bekommt“. Das widerspricht aber nun vielem, wozu Menschen in aller Welt VPN-Funktionen nutzen. Viele nutzen den verschlüsselten Tunnel plus die IPs anderer Staaten, um z.B. der Zensur oder politischen Verfolgung des eigenen, autoritären Systems zu entkommen. Andere sind mit VPN unterwegs, um Inhalte sehen zu können, die durch sog. Geoblocking nur in einem bestimmten Land verfügbar sein sollen. Das alles ist Microsoft anscheinend zu heikel, man kann sich keine Länder oder gar Städte als Standort aussuchen. Nein, man kann nicht mal einen Kontinent wählen, aus dessen IP-Pool man eine Adresse bekommt, das verstehe wer will!
Und somit wird Microsoft sich noch überlegen müssen, was man mit diesem Angebot eigentlich bewerkstelligen will. Als kleine Zusatzoption für den oftmals verschmähten Browser ist es okay. Der Nutzen für Otto Normaluser ist dabei höchst überschaubar, aber man kann sich einen Hauch anonym fühlen. Die Vorteile und Optionen, die ein guter VPN-Dienst anbietet, hat man aber nicht, 1 GB ist maximal ein Häppchen Anonymität. Stand jetzt, ist man damit hinter dem kostenlosen Opera-Angebot zurück, bietet allenfalls eine Rumpf-Funktionalität und beschränkt alles auf einen Browser, den man weiter wie sauer Bier anbietet. Schade, hier hat man einen echten Coup für seine Kunden, die Sicherheit des Betriebssystems und nicht zuletzt das eigene Image verpasst!
Was mich interessieren würde: Würden Sie ein solches Gratis-VPN nutzen? Oder bietet Ihnen die Microsoft-Funktion einfach zu wenig?