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Lohnt sich Windows 11? Ein Jahr danach!

Sven Krumrey

Kürzlich saß ich gemütlich mit einem Bekannten zusammen und wir erzählten uns von unseren Jobs und was es Neues darin gab. Er ist Chemiker und erzählte mir von Kunststoffen, die sich bei einer bestimmten Temperatur immer wieder neu formen lassen und auf nachwachsenden Rohstoffen basieren (was faszinierender klang, als ich hier wiedergeben kann), mein Thema war vorhersehbar: Windows 11! Er hatte bislang nur ein paar Screenshots gesehen und fragte, ob sich denn ein Umstieg lohne. Ich wollte zuerst auf einen älteren Blog von mir verweisen, musste mich aber korrigieren, denn nach einem Jahr Nutzung sieht man vieles anders. Zeit für ein Update!

Für viele der größte Pluspunkt - das neue Windows 11 Design

Das Windows 11 Design ist bekanntermaßen für Microsoft untypisch und es gibt darüber wohl so viele Meinungen wie User. Die einen bejubeln, dass alles nett animiert ist, mögen die gerundeten Programmfenster und die „schwebende“ Startleiste, andere bejammern genau all das. Man kann wohl neutral sagen, dass Windows sich gerade Apples macOS optisch annähert und neue Akzente im Vergleich zu Windows 10 setzen kann. Am Anfang war ich sehr angetan davon, inzwischen würde ich durchaus das kantigere, in Menüs „vollgestelltere“ Design der alten Version und dessen Menüs bevorzugen. Während Windows 10 eher sachlich ist, mag sich Windows 11 schicker, etwas luftiger und in vielen Menüs reduzierter. Genau das jedoch stößt vielen (auch mir) sauer auf, denn dabei geht einiges an Funktionen verloren! So wurden die Kontextmenüs beim Rechtsklick auf die wichtigsten Funktionen reduziert. Möchte man mehr, muss man auf „Weitere Optionen anzeigen“ klicken und erhält erst danach das Windows 10 Kontextmenü mit allen Möglichkeiten. Das bringt mich zwar nicht um, bedeutet aber einen Klick mehr! Gleiches in der Taskleiste, wo automatisch gruppiert wird, wenn man z.B. drei Word-Dokumente gleichzeitig geöffnet hat. Um das zu deaktivieren, brauche ich zusätzliche Software – oder wieder ein Mouseover mehr, um zum Ziel zu kommen. Ein Rechtsklick darauf führt nicht mehr zu Funktionen wie den Task Manager, sondern nur zu den Taskleisteneinstellungen. Wieder ein paar Klicks mehr! Das aufgeräumte Äußere fordert hier seinen Tribut – das darf eigentlich nicht sein!

Dass die Startleiste standardmäßig nicht mehr links ist, stört mich weniger, dafür mag ich mich an die ausgedünnten Features dieser Leiste nicht gewöhnen. Was im Startmenü angeheftet ist, scheint etwas willkürlich (manches habe ich meines Wissens nie genutzt), erst ein Klick auf „alle Apps“ bringt mich hier weiter. Zudem verabschiedet man sich von Ordnerstrukturen und zeigt direkt die Programme an. Das mag toll finden, wer nur wenige Programme nutzt, diese Darstellung vom Handy gewohnt ist oder für den Windows vorwiegend eine Art Design- und Wohlfühloase zum bloßen Browsen ist. Ich sehe ein Betriebssystem hingegen als Mittel zu Zweck, das natürlich nett aussehen kann, mich aber primär schnell und einfach zum Ziel bringen sollte. Vielleicht macht Microsoft da noch was, aktuell behelfen sich viele mit Stardock Start11, um das alte Startmenü und bekannte Funktionen der Startleiste zurückzuerlangen.

Das Thema Widgets ist schon seit Windows Vista umstritten. Manche Menschen mögen es, mittels einer Horde von Kacheln mit kleinen Informationshäppchen versorgt zu werden, für andere ist es eine Heimsuchung. Ob Wetter, Sportergebnisse, Börsenkurse oder die Eskapaden der Stars, alles ist kunterbunt am Start. Klickt man auf etwas, wird man natürlich auf den Edge Browser geschickt, der bei Windows 11 als sog. Systembrowser wieder mehr im Mittelpunkt steht. Ich wollte dem Feature fairerweise eine Chance geben, doch mir reichen doch Nachrichten im Browser und 90% der Stars kannte ich eh nicht. Im Vergleich zu Windows 10 werden Edge und Bing wieder mit erhöhtem Druck angepriesen, was nach all den Jahren schon etwas Tragisches hat. Wer die kunterbunten Nachrichten unbedingt auf Windows 10 will, kann sich auch Microsoft News als App installieren und bekommt fast identische Inhalte.

Schwebend, luftig, aber nur bedingt nützlich: das Startmenü

Eindeutig besser ist die Arbeit mit mehreren Monitoren und einer Horde von Fenstern, wie es meinem Alltag entspricht. Hier schlägt Windows über „Snap Layouts“ mehrere Anordnungen der Programmfenster vor und merkt sich den Monitor, wo alles angezeigt wurde. Wer mit dem Laptop mal unterwegs ist und dann wieder mit drei Monitoren arbeitet, wird dies zu schätzen wissen. Diese Features würde ich ehrlich vermissen, hier ist echter Mehrwert spürbar. Wenig begeistern kann der neue Datei-Manager, der praktisch zur Transzendenz minimiert wurde und jetzt oben eine kleine Symbolleiste mit allen gängigen Funktionen zeigt, die man erst mal neu lernen muss. Das kann ich inzwischen, doch einen tieferen Sinn sehe ich darin nicht. Wichtige Funktionen werden hier hinter drei Punkten versteckt, wer kommt auf sowas? Dass man nun eine kleine Filterfunktion nach Dateityp eingebaut hat, scheint mir eher als Verlegenheitslösung, damit das Modul wenigstens etwas mehr als der Vorgänger kann.

Was die Einstellungen angeht, so war man von Windows 10 Kummer gewohnt. Man wollte damals weg von der etwas spröden alten Windows-Systemsteuerung (die ich ganz okay fand) und hin zu einer modernen Darstellung, wie man sie z.B. von Android Tablets kennt. So ganz fertig war man nicht, daher beließ man bei Windows 10 die alten Menüs, fügte neue hinzu und hatte so z.T. Redundanzen sowie viel Potential für Verwirrung. Mit Windows 11 ist man ein Stück weiter, aber noch nicht am Ziel. Die alte Systemsteuerung gibt es weiterhin, manchmal führt auch kein Weg vorbei, doch viele Systemoptionen sind nun auch in neuer Optik und einer entspannteren Benutzerführung am Start. Ich ertappe mich jedoch manchmal dabei, die alte Systemsteuerung aufzurufen (die in Windows 11 auch optisch wie ein Anachronismus wirkt), weil halt doch alles drin ist, was ich brauche.

Windows 11 soll lt. zahlreichen Tests auch schneller sein. Das mag durchaus sein, einem Geschwindigkeitsrausch wird aber wohl niemand erliegen. Updates laufen hingegen deutlich fixer durch, Microsoft spricht von 40% kleineren Updates im Vergleich, das könnte bei der zeitlichen Ersparnis durchaus hinkommen. Die bombastisch verkündete Unterstützung von Android Apps blieb sehr lange ein leeres Versprechen, inzwischen geht es irgendwie. Man kann inzwischen den „Amazon Store“ installieren und sich darüber Apps besorgen, viele der beliebtesten Programme sind hier aber noch nicht zu finden. Das fühlt sich alles halbgar an, ein Amazon-Konto mag bestimmt auch nicht jeder anlegen. Das alles ist nicht gerade elegant und wäre zusammen mit Google sicher besser gelaufen, schade!

Wer sich an brillanter Grafik in Spielen ergötzt, kann mit entsprechender Hardware / Software viel Spaß an HDR (High Dynamic Range) haben. Die Farben sehen einfach ein Stück besser aus, man hat mehr Konfigurationsmöglichkeiten, auch HDR-Videos wirken dynamischer, wenn der Monitor es hergibt. Ein Sonnenuntergang sieht noch etwas dramatischer aus, der Sternenhimmel kontrastreicher. Das macht durchaus Laune, ein kommender „Auto-HDR-Modus“ soll selbst Spiele besser aussehen lassen, die diese Funktion gar nicht unterstützen. Spannend! Das ist ein weiterer, kleiner Pluspunkt an Windows 11, es wird noch aktiv etwas an den Features gemacht. Während der Vorgänger bis 2025 brav weiter gepflegt wird, merkt man bei den Updates durchaus, worauf Microsofts Fokus gerade liegt.

Die Updates laufen spürbar schneller als unter Windows 10 durch

Sie merken, es ist nicht alles Gold, was nobel designt glänzt und mancher Minuspunkt kommt erst bei der produktiven Arbeit zutage. Bei meinen vier privaten Windows-Rechnern sind deshalb auch nur jene zwei mit Windows 11 versehen, wo es schon ab Werk drauf war. Darauf kann man wunderbar spielen, browsen oder Videos schauen, für die anspruchsvolleren Projekte mit vielen Wechseln zwischen Programmen und Dateien nutze ich noch die Windows 10-Rechner, denn dort spare ich immer ein paar Klicks. Auf der Arbeit hingegen, wo ich dauernd mehrere Browser und diverse Programme geöffnet habe und gleich drei Bildschirme parallel nutze, erfreue ich mich am Multimonitoring von Windows 11.

Deshalb konnte ich meinen Bekannten auch beruhigen, der ruhig weiter Windows 10 nutzen sollte. Unter der edlen Oberfläche wartet kein „Erweckungserlebnis“ wie damals bei Windows 95, XP oder Windows 7. Bis 2025 wird Windows 10 noch weiter gepflegt und falls Microsoft bis dahin beim Nachfolger kein grandioses Feature einfällt, ist kein Wechsel nötig – aber auch kein Fehler. Eine Revolution fand hier nur laut Werbekampagne statt, nach einem Jahr würde ich von einer soliden Weiterentwicklung mit kleinen Schönheitsfehlern sprechen.

Was mich interessieren würde: Wer schon Windows 11 hat, wie zufrieden sind Sie? Was ärgert? Und lieber Windows 10-Nutzer, würden Sie einen Wechsel wagen?

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